Der Palast
Straßen, die mit Pferdemist bedeckt waren, wimmelte es von berittenen Samurai. Über Abwassergräben summten Fliegenschwärme. Die Vasallen lebten in äußerst bescheidenen Verhältnissen, weil das Regime in Friedenszeiten nur einen kärglichen Sold zahlte.
Sano und Yanagisawa hatten dem Shōgun bereits berichtet, dass sie den Drachenkönig als Dannoshin Minoru identifiziert hatten, einen Inspektor des Ministeriums der Tempel und Heiligtümer. Der Shōgun hatte befohlen, bis zum Ende des Tages herauszufinden, ob Dannoshin tatsächlich der Drachenkönig war und wo er die Frauen versteckt hielt. Im Fall eines Scheiterns hatte der Shōgun gedroht, sie und Hoshina hinrichten zu lassen.
Jetzt erreichten sie Dannoshins Anwesen.
Das Fachwerkhaus mit dem Strohdach ähnelte den anderen Anwesen, die in dem engen, verschachtelten bancho dicht an dicht standen. Zum Glück stand Dannoshins Name auf dem Tor. Nachdem die Männer aus den Sätteln gestiegen waren, folgte Sano dem Kammerherrn Yanagisawa auf einen mit Kies bedeckten Hof, der im Schatten der Bambussträucher lag. Ein alter Mann in einem verblichenen blauen Kimono eilte aus dem Haus.
»Wer seid Ihr?«, fragte der Mann, der beim Anblick der kleinen Heerschar von Samurai mit den Tokugawa-Wappen auf den Rüstungen heftig erschrak. »Was kann ich für Euch tun, edle Herren?«
»Wir suchen Dannoshin Minoru«, entgegnete Kammerherr Yanagisawa. »Sag uns, wo er ist.«
»Er ist nicht zu Hause«, erklärte der alte Mann.
Yanagisawa schritt mit seinen Männern über den mit Steinplatten ausgelegten Weg zum Haus. »Wohin ist er gegangen?«, fragte er.
»Das weiß ich nicht. Er hat es mir nicht gesagt. Ich bin nur sein Diener.«
»Dann werden wir uns hier nur ein wenig umsehen«, sagte Yanagisawa.
Während er mit seinen Männern ins Haus stürmte, stieg Sano die kurze Treppe zur Veranda hinauf, auf der verschüchtert der alte Mann kauerte.
»Wann hat Euer Herr das Haus verlassen?«, fragte er.
»Vor sieben Tagen.« Der Diener, der ängstlich darauf bedacht war, den sōsakan-sama gnädig zu stimmen, beantwortete ausführlich die Frage. »An dem Abend, bevor er aufbrach, kam ein Mädchen hierher. Es sprach mit meinem Herrn. Nachdem das Mädchen gegangen war, befahl er mir, ihm ein paar Kleidungsstücke und Vorräte für eine Reise einzupacken.«
Das Mädchen war Mariko, überlegte Sano. Sie hatte Dannoshin die Nachricht von Fürstin Keisho-ins bevorstehender Reise gebracht, und dieser hatte unverzüglich Vorbereitungen getroffen, um Keisho-in zu überholen, Söldner der Schwarzen Lotosblüte um sich zu scharen und den Pilgerzug in einen Hinterhalt zu locken. Einer der Verbrecher musste anschließend zurück nach Edo geritten sein, den Erpressungsbrief auf der Festungsmauer hinterlegt haben und dann unbemerkt entkommen sein.
Sano führte seine Ermittler ins Haus. Yanagisawas Soldaten eilten durch die Gänge, stießen Trennwände aus Papier und Holz zur Seite, stapften durch die Gemächer und jagten die Hausbewohner. Weihrauchgeruch schwebte durch die Luft. Das Innere des Hauses war schmutzig und kärglich eingerichtet. Sano vermutete, dass Dannoshin sein Geld gehortet hatte, um seinen Rachefeldzug gegen Hoshina zu finanzieren und die Hilfe der Schwarzen Lotosblüte zu bezahlen. Aber vielleicht hatte die Sekte ihm auch ohne Bezahlung geholfen, weil Dannoshin die Mitglieder bei der Polizei hätte anzeigen können, wenn sie abgelehnt hätten.
Irgendwo aus dem hinteren Teil des Hauses rief Yanagisawa: » Sōsakan Sano!«
»Helft den anderen, das Haus zu durchsuchen«, befahl Sano seinen Ermittlern.
Er drängte sich an den Männern vorbei und fand Yanagisawa in einem Gemach. Er stand vor einem Teakholztisch. Auf dem Tisch standen Kerzen mit geschwärzten Dochten, mit Asche gefüllte Weihrauchbrenner und ein schön geschnitzter Schrein aus schwarzer Lackarbeit.
»Das ist ein Traueraltar«, sagte Yanagisawa.
Dem Brauch gemäß hätte der Schrein ein Bild der verstorbenen Person enthalten müssen, doch er war leer. Sano strich mit dem Finger über die geschnitzten Blumen des Schreins.
»Das sind Anemonen«, sagte er. »Das hier ist Dannoshins Traueraltar für seine ermordete Mutter.«
»Er muss das Bild mitgenommen haben«, meinte Yanagisawa.
Sano atmete den Weihrauchduft ein, der sich in den Wänden und Tatami-Matten festgesetzt hatte. In der Hoffnung, mehr über den Aufenthaltsort des Drachenkönigs zu erfahren, öffnete der sōsakan-sama den Schrank. Er fand Decken
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