Der Palast
Drachenkönig wartete auf die Nachricht von Hoshinas Hinrichtung. Wie lange würde er noch warten, bevor er zu dem Schluss gelangte, dass der Shōgun seinen Befehl nicht befolgen würde, sodass der Drachenkönig seine Drohung wahrmachte und die Geiseln tötete?
Hatten sie Dannoshin Minoru zu spät als wahrscheinlichen Täter entlarvt, um die Frauen noch retten zu können?
25.
E
rmittler Marume schleppte eine Fuhre junger, dünner Baumstämme auf die Waldlichtung, wo er mit Hirata und Fukida das Floß baute, auf dem sie den See überqueren und die Frauen zurück aufs Festland bringen wollten. Ein Tag war verstrichen, seitdem sie auf der Halbinsel Izu angekommen waren, und die Fahrt zur Insel der Entführer lag noch vor ihnen. Es war kalt und nebelig; die Sonne versteckte sich hinter einer grauweißen Wolkendecke. Die schwere Arbeit, das Holz zu hauen, zu schneiden und zu schleppen, trieb Marume den Schweiß auf die Stirn. Nur noch mit Sandalen und einem Lendentuch bekleidet, den Dolch zwischen den Zähnen, sah er wie ein Wilder aus. Er warf die Stämme neben Hirata auf die Erde.
»Braucht Ihr noch mehr Holz?«, fragte er keuchend.
Hirata legte die zugeschnittenen Stämme neben die anderen, aus denen er das Floß baute, und band sie mit geflochtenem Schilf zusammen. Er wischte mit dem Ärmel über seine tropfende Nase. »Ich glaube nicht.« Sein Blick wanderte von seinen schmutzigen, zerschnittenen Händen zum Floß. »Es müsste groß genug sein, nicht wahr?«
Die Länge des Floßes betrug etwa das Doppelte von Hiratas Körpergröße. Grobe Stämme unterschiedlicher Dicke, deren Äste Hirata abgehackt hatte, waren mit flüchtig verknotetem Schilf aneinander gebunden – eine Arbeit, die Hirata nicht gerade mit Stolz erfüllte, aber die Hauptsache war, sie hatten ein behelfsmäßiges Wasserfahrzeug. Fukida brachte die aus zwei gabelförmigen Ästen angefertigten Ruder, deren Zwischenräume er mit grob geflochtenen Matten aus dünnen Zweigen und Schilf ausgefüllt hatte. Er warf die Ruder aufs Floß und blickte Hirata reumütig an. Er schien am Erfolg ihrer Bemühungen zu zweifeln.
»Ob das Floß uns tragen wird?«, fragte Marume und sprach damit aus, was alle dachten.
»Es muss«, erwiderte Hirata energisch.
Seit gestern Nachmittag hatte der oberste Gefolgsmann des sōsakan-sama Zeit gehabt, seine Entscheidung zu überdenken, die Frauen zu retten, anstatt zurück nach Edo zu reiten. Der Bau des Floßes hatte länger gedauert, als Hirata anfangs angenommen hatte. Zuerst mussten sie sich vom See zurückziehen und auf einem abgelegenen Platz fern der Straße ihr Lager aufschlagen, wo sie von keinem Entführer, der zufällig die Insel verließ, gesehen werden konnten. Die Suche nach geeignetem Holz und die Mühe, es auf die richtige Größe zu schneiden, hatten Stunden in Anspruch genommen. Als sie sich endlich eine Methode ausgedacht hatten, wie sie beim Bau des Floßes und der Ruder am besten vorgingen, hatte die Dunkelheit sie gezwungen, die Arbeit bis zum Sonnenaufgang einzustellen. Sie hatten eine kalte, unbequeme Nacht auf dem Boden verbracht, während Hirata unaufhörlich von quälenden Fragen bedrängt wurde, die ihn am Schlafen hinderten.
Hatte er die falsche Entscheidung getroffen? Was würde geschehen, wenn Sano herausfand, dass er, Hirata, seine Befehle missachtet hatte? Hatten sie durch den Bau des Floßes wertvolle Zeit verschwendet, die sie hätten nutzen können, um nach Edo zu reiten und zu berichten, dass sie die Entführer und die Geiseln gefunden hatten? Außerdem machte Hirata sich große Sorgen um Midori. Er fragte sich, ob es ihm mit Marumes und Fukidas Hilfe gelingen würde, Midori und die anderen Frauen zu retten. Trotz aller Zweifel hielt Hirata an seinem Entschluss fest, die Insel, auf der seine Gemahlin gefangen gehalten wurde, nicht mehr aus den Augen zu lassen. Er musste Midori aus den Händen der Entführer befreien. Der Gedanke, sie der Gnade Fürst Nius oder eines anderen Wahnsinnigen zu überlassen, war ihm unerträglich.
»Wir warten bis heute Abend, dann rudern wir zur Insel«, sagte Hirata.
Von insgesamt dreißig Ermittlern und Soldaten begleitet, ritten Sano und Kammerherr Yanagisawa in den bancho im Westen des Palasts zu Edo, wo die niederen Tokugawa-Vasallen wohnten. Die Nachmittagssonne, vor der Gewitterwolken vorüberzogen, warf Licht und Schatten auf kleine, heruntergekommene Anwesen, die von Bambussträuchern umzäunt waren. Auf den schmalen, schmutzigen
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