Der Palast
Privilegien beraubt und wie ein gewöhnlicher Verbrecher hingerichtet wird. Ich will, dass er in Ungnade fällt und die verdiente Schande erleidet, indem sein Leichnam öffentlich zur Schau gestellt wird. Und das werde ich durch meine Erpressung erreichen.«
Reiko erkannte jedoch die Wahrheit hinter der Selbstgerechtigkeit des Drachenkönigs. Er wollte Hoshina nicht zu einem Duell herausfordern, weil sein Feind vermutlich gesiegt hätte und er nicht sterben wollte. Und er wollte Hoshina nicht öffentlich beschuldigen, weil er sich vor der Rache seines mächtigen Feindes fürchtete. Er wollte Hoshina angreifen, ohne selbst in Gefahr zu geraten. Er wollte Rache üben, ohne dass es Konsequenzen für ihn hatte. Er glaubte, er könne die Mutter des Shōgun entführen, Hoshinas Hinrichtung erzwingen, sich dann davonstehlen und seinen Triumph auskosten.
Der Drachenkönig war ein Feigling.
»Und da ich meinen Rachefeldzug nun verwirklicht habe, brauche ich nur abzuwarten, bis meine Spione mir aus Edo die Nachricht bringen, dass Hoshina hingerichtet wurde. Wenn ich gesehen habe, dass sein Leichnam am Fuße der Nihonbashi-Brücke zur Schau gestellt wird, ist mein Rachedurst gestillt.«
Doch der Drachenkönig war ein Narr, wenn er glaubte, sein Plan würde aufgehen. Wusste er denn nicht, fragte sich Reiko, dass Hoshina der Geliebte des Kammerherrn war, des Stellvertreters des Shōgun und zweitmächtigster Mann Japans? Kammerherr Yanagisawa würde Hoshinas Hinrichtung verhindern. Und selbst wenn er es nicht tat, würde der gewiefte Hoshina seinen Tod auf irgendeine Weise selbst zu verhindern wissen. Der Plan des Drachenkönigs würde scheitern. Reiko schauderte, als eine böse Vorahnung sie beschlich.
»Was werdet Ihr tun, wenn der Shōgun nicht auf Eure Forderung eingeht?«, fragte sie.
»Oh, das wird er«, erwiderte der Drachenkönig selbstgefällig. »Ich habe ihn gewarnt, dass ich seine Mutter und ihre Freundinnen ermorden werde, wenn er meinen Befehl nicht befolgt.«
Jetzt verstand Reiko, was er mit der Antwort auf ihre Frage, ob er die Frauen töten werde, gemeint hatte. Ich hoffe nicht, hatte er gesagt. Ihm war es lieber, Hoshinas Hinrichtung zu erpressen, als die Drohung wahrzumachen, seine Geiseln niederzumetzeln. Reiko erschrak fast zu Tode, als sie die Wahrheit erkannte: Sie, Keisho-in, Midori und Fürstin Yanagisawa waren von Anfang an verdammt gewesen. Die Aussicht, dass der Drachenkönig sie freiließ, hatte niemals bestanden. Er würde vergebens auf die Nachricht von Hoshinas Tod warten. Und wenn er einsehen musste, dass sein Rachefeldzug gescheitert war …
Von Panik erfasst, fragte Reiko sich, wie viel Zeit ihr noch blieb, bis der Drachenkönig die Hoffnung aufgab. Vielleicht hatten die zwölf Jahre, die er nun auf eine Rache gewartet hatte, seine Geduld erschöpft. Lange würde er mit Sicherheit nicht mehr warten. Reiko musste ihren Plan vorantreiben, auch wenn es möglicherweise verfrüht war, den Drachenkönig zu verführen.
»Liebster«, sagte sie und streichelte seine Hände. »Ich habe große Angst, dass etwas schief geht. Und mir gefällt dieser Ort nicht. Warum gehen wir nicht fort – nur Ihr und ich?«
Wenn sie ihn überreden könnte, mit ihr allein die Insel zu verlassen, hätte sie eine Chance, die Freiheit zu erringen. Er könnte sie nicht ununterbrochen im Auge behalten. Sie würde sich davonschleichen, eine Garnison suchen und die Soldaten auf die Insel schicken, damit sie ihre Freundinnen retteten. Denn sobald die Handlanger des Drachenkönigs erkannten, dass ihr Anführer sie mit den Geiseln zurückgelassen hatte, würden sie die Flucht ergreifen und Midori, den Säugling, Fürstin Keisho-in und Fürstin Yanagisawa zurücklassen, die erst gerettet wären, wenn Hilfe kam.
»Wir könnten zusammen an einen schönen Ort gehen«, sagte Reiko drängend. »Wir brauchen es keinem zu sagen.«
Der Drachenkönig musterte sie bestürzt. »Aber wir können nicht gehen – nicht, bevor Hoshina tot ist!«
»Warum vergesst Ihr ihn nicht einfach? Warum ist die Rache Euch so wichtig?«, versuchte Reiko ihn umzustimmen. »Wichtig ist nur, dass wir zusammen sind.«
»Zwölf Jahre lang habe ich gewartet, um Hoshina seiner gerechten Strafe zuzuführen.« Die Hand des Drachenkönigs erstarrte unter ihren Berührungen. »Selbst um Euretwillen werde ich nicht auf meinen Sieg über ihn verzichten. Ich werde erst Frieden finden, wenn ich dafür gesorgt habe, dass Hoshina auf dieser Welt nicht mehr sein
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