Der Palast
Unwesen treiben kann.«
»Aber ich habe schreckliche Angst, dass Ihr in Schwierigkeiten geratet«, sagte Reiko. »Hoshinas Bestrafung ist es nicht wert, dass Ihr Euer Leben aufs Spiel setzt. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, Euch zu verlieren.« Mit einem Schluchzen ehrlicher Verzweiflung hob sie die Hand und strich über seine harten Bartstoppeln. »Bitte, bringt mich von hier fort!«
Stirnrunzelnd zog der Drachenkönig seine Hand zurück. »Mein Plan kann nicht fehlschlagen. Es wird keine Schwierigkeiten geben.« Sein unnachgiebiger Tonfall bewies seinen Glauben an das Gelingen seines wahnsinnigen Verbrechens. »Wir bleiben hier, bis ich erfahren habe, dass Hoshina angeklagt und hingerichtet wurde. Mein Entschluss steht fest.«
Hirata, Marume und Fukida trugen ihr Floß durch den Wald zum Ufer des Sees. Sie taumelten unter der schweren, sperrigen Last. Der kobaltblaue Himmel war von funkelnden Sternen übersät. Das Licht des Vollmonds strahlte durch die Wolken, die wie Rauch über den Himmel zogen. Das schwarze Wasser glitzerte im Mondschein. Die Bäume raschelten in der kühlen Brise. Die Insekten des Waldes stimmten ihren nächtlichen Gesang an.
Hirata und seine Ermittler schoben das Floß vom Ufer ins Wasser und hielten gespannt den Atem an. Das Floß schwankte auf den sanften Wogen des Sees, ging aber nicht unter.
»Den Göttern sei Dank!« Hirata fiel ein Stein vom Herzen.
Er und Fukida umklammerten die Ruder und kletterten vorsichtig auf das Floß. Marume stieß es vom Ufer ab, watete ins Wasser und stieg ebenfalls an Bord. Das Floß tauchte unter seinem Gewicht ins Wasser. Hastig balancierten die Männer das Gefährt aus, bis das Gleichgewicht wiederhergestellt war und das Floß sich stabilisiert hatte. Hirata und Fukida ruderten los. Wasser spritzte über sie hinweg und sickerte durch die Ritzen und Fugen zwischen den dünnen Baumstämmen hindurch, doch das Floß hielt sich auf dem Wasser und bewegte sich langsam auf das gegenüberliegende Ufer zu. Hirata befürchtete, jedes versehentliche Plätschern der Ruder könnte sie verraten und die Entführer warnen. Angestrengt spähte er zur Insel, der sie sich langsam näherten.
Die Dunkelheit hüllte den Palast in undurchdringliches Schwarz. Obwohl die Insel aus dieser Entfernung unbewohnt zu sein schien, befürchtete Hirata, die Entführer könnten ihn und seine Ermittler auf dem offenen Wasser entdecken, wo sie fremden Blicken ungeschützt ausgesetzt waren. Zweifel stiegen in Hirata auf. Trotz seiner Entschlossenheit, Midori zu retten, fragte er sich, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Wäre es nicht doch besser gewesen, Sanos Befehle zu befolgen?
Hiratas Hände, die vom Bau des Floßes rau und verspannt waren, bebten vor Erschöpfung und Furcht, als er die Ruder ins Wasser tauchte. Er schniefte und wünschte sich, seine Erkältung endlich los zu sein. Doch nun war es zu spät, seine Entscheidung rückgängig zu machen, sagte sich der oberste Gefolgsmann des sōsakan-sama. Und er wollte es auch gar nicht: Seine Sorge um Midoris Sicherheit und sein Wunsch, sie in die Arme zu schließen, ehe er nach Edo zurückkehrte, waren größer als alle Bedenken und ließen ihn an seinem Entschluss festhalten.
Endlich rückte die Insel näher. Kurz darauf blieb das Floß in den Untiefen nahe dem Ufer stecken, auf der gegenüberliegenden Seite des Anlegestegs. Hirata sah die Uferböschung und den dichten Wald, auf den das Licht des Mondes und die glitzernden Spiegelungen des Wassers fielen. Die drei Männer stiegen vom Floß und standen bis zu den Waden im kalten Wasser. Hiratas Sandalen drohten im Schlamm stecken zu bleiben, als er sich langsam aufs Ufer zubewegte. Schließlich zogen die Männer das Floß mit vereinten Kräften aus dem Wasser und schleppten es in den Wald, wo sie es gegen einen Baumstamm lehnten. Sie warfen Kletterpflanzen über das Floß, um es zu tarnen, und versteckten die Ruder unter dem Laub. Dann schlichen sie durch den Wald zum Palast.
Das Licht der Sterne und des Mondes durchdrang kaum die Dunkelheit des dichten Waldes. Hirata und seine Ermittler tasteten sich vorsichtig voran, zwischen den Bäumen hindurch und über Baumstämme, die im Weg lagen. Jedes Mal, wenn ein Zweig unter Hiratas Füßen zerbrach, wuchs seine Angst, entdeckt zu werden, und jedes Rascheln der Blätter verwandelte sich in ohrenbetäubenden Lärm. Hirata hatte das untrügliche Gefühl, dass sich in unmittelbarer Nähe Menschen aufhielten. Die
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