Der Palast
die Erde oder schlugen in Baumstämme in ihrer unmittelbaren Nähe. Als die Männer den Waldrand erreichten, erblickten sie zwei Entführer, die neben dem Steg standen und die Boote bewachten. Keuchend und schnaufend machten sie kehrt und liefen zurück in den Wald.
»Wir könnten zum Festland schwimmen«, schlug Fukida vor.
Doch die Verfolger überzogen die Insel mit einem dichten Netz und verwehrten den Ermittlern den Weg zum Ufer. Sie befanden sich wieder im Wald in der Nähe des Palasts. Verfallene Wachtürme ragten aus einer Ruine empor. Vier Wachen lungerten vor einem Tor, das zu einem Gelände mit wild wucherndem Gestrüpp führte. Dahinter erhob sich der Palast, auf den das Licht des Mondes fiel. In die Dachgiebel gemeißelte Drachen schienen eine stumme Warnung zu verkünden. Durch die Fenstergitter im ersten Stock schien Licht. Hirata vermutete, dass in diesem Teil des Palasts die Zentrale der Entführer untergebracht war, sodass er, Marume und Fukida den Ort meiden sollten. Doch die Erschöpfung zwang ihn und seine Ermittler, anzuhalten und zu verschnaufen.
»Wir verstecken uns, bis sie glauben, wir wären entkommen«, sagte er.
In diesem Augenblick liefen Männer durch den Wald auf sie zu. Instinktiv warfen die Ermittler sich flach auf den Boden und regten sich nicht. Zwei Männer rannten genau an Hiratas Kopf vorbei und schleuderten mit den Füßen Laub auf sein Gesicht. Sie liefen über die Lichtung und stürmten in den Palast. Hirata hob den Kopf und sah sie im trüben Licht der Eingangshalle neben einem dritten Mann stehen, der zu ihnen getreten war.
»Wir haben schlechte Nachrichten«, hörte Hirata einen der Männer atemlos sagen.
»Und welche?« Die Stimme des dritten Mannes war schroff, doch es lag auch ein Hauch von Angst darin.
»Fremde haben die Insel überfallen.«
»Wer sind sie?«, fragte der dritte Mann, offenbar der Anführer der Truppe.
»Das wissen wir nicht.«
»Woher wisst ihr, dass sie hier sind?«, fragte der Anführer.
»Sie haben einen unserer Leute getötet. Und wir haben ein Floß gefunden, das sie in der Nähe des Ufers im Wald versteckt haben.«
Hirata erkannte wieder einmal, wie schnell man an den Rand eines Abgrunds geriet. Die Entführer wussten nicht nur, dass er mit Marume und Fukida auf der Insel war – sie hatten überdies das Floß gefunden, mithilfe dessen sie die Frauen in Sicherheit bringen wollten. Seine Hoffnung starb, später einen erneuten Rettungsversuch zu unternehmen.
»Ich habe zwei Männer zur Bewachung des Floßes zurückgelassen, falls die Eindringlinge dorthin zurückkehren«, sagte der Mann, der die Nachricht gebracht hatte.
»Ruft sämtliche verfügbaren Männer zusammen«, befahl der Anführer herrisch. »Alle sollen sich an der Suche beteiligen.«
Hirata kannte die Stimme des Anführers nicht. Dies bestätigte seinen Verdacht, dass nicht Fürst Niu, sondern jemand anders für die Entführung verantwortlich war. Fürst Niu könnte sich zwar einen Trupp Söldner beschafft haben, doch er wäre schlau genug gewesen, den Befehl über eine solch riskante Operation nur einem seiner treuesten Gefolgsleute zu übergeben – und die kannte Hirata allesamt; deshalb wusste er, dass der Mann im Palast nicht dazugehörte. Jetzt bestätigte die schreckliche Wahrheit seine böse Vorahnung.
Die Entführung war kein Komplott seines Schwiegervaters. Sie war Teil einer Tat, deren Hintergründe Hirata bisher nicht kannte. Er, Marume und Fukida saßen auf einer Insel in der Falle, auf der ein Fremder herrschte, dessen Motive noch teuflischer waren als die des Fürsten Niu.
»Schnappt die Eindringlinge und bringt sie zu mir«, sagte der Anführer.
Die Männer eilten aus dem Palast. Obwohl die Folgen seines eigenmächtigen Handelns Hirata erschreckten, hielt er sich nicht mit Selbstvorwürfen auf. Es war sinnlos, sich nun zu wünschen, er hätte anders gehandelt. Es gab nur eine einzige Möglichkeit, wie sie ihrer misslichen Lage entfliehen konnten.
»Wir müssen so viele Entführer wie möglich töten«, sagte Hirata, »bis wir in den Palast eindringen und die Frauen retten können.«
»Oder bis die Entführer uns schnappen«, erwiderten Marume und Fukida im Chor.
29.
A
ls Sano am Tag darauf mit seiner Polizei-Spezialeinheit und in Begleitung von Kammerherrn Yanagisawa in Richtung Izu ritt, zum Palast des Drachenkönigs, fegte ein Sturm über die Tōkaidō. Windböen peitschten den zweihundert berittenen Männern den Regen ins Gesicht. Über den
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