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Der Palast

Der Palast

Titel: Der Palast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rowland
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die beiden Frauen in der Dunkelheit aber nirgends entdecken. Sie hörte auch Ota und seinen Komplizen, die über Trümmerschutt eilten, vor Anstrengung keuchend, als sie den Frauen folgten.
    »Bleib hier und versteck dich«, flüsterte Reiko Midori zu. Sie wusste, dass Ota es vor allem auf sie abgesehen hatte; wenn sie sich trennten, würde er Midori vielleicht verschonen.
    »Lasst mich nicht allein!«, schrie Midori.
    Doch Reiko ließ ihre Freundin los und rannte weiter. Wie sie gehofft hatte, nahmen die Männer ihre Verfolgung auf, ohne sich weiter um Midori zu kümmern. Sie kämpften sich durch Sträucher und Gestrüpp hindurch und rannten um die Gebäude herum. Dank ihrer zierlichen Figur und ihrer Wendigkeit gelang es Reiko, den Abstand zu den Verfolgern zu vergrößern.
    Als sie um eine Ecke bog, prallte sie mit jemandem zusammen. Alarmiert schrie sie auf – wie auch Fürstin Yanagisawa, die sie sofort erkannte.
    »Reiko -san ! Den Göttern sei Dank, dass ich Euch gefunden habe!«, rief Fürstin Yanagisawa. »Ich habe Keisho-in verloren.«
    Der Gedanke, dass die Mutter des Shōgun allein durch die Nacht irrte, versetzte Reiko in Angst und Schrecken, doch die Männer näherten sich ihnen bedrohlich. Sie reichte Fürstin Yanagisawa die Hand und lief mit ihr durch die Dunkelheit. Die Männer trieben sie in den Wald hinein. Reikos Beine erlahmten vor Müdigkeit. Die Erschöpfung nahm ihr den Atem. Fürstin Yanagisawa stöhnte und presste eine Hand auf ihre Seite. Sie liefen aus dem Wald hinaus. Vor ihren Augen ragte der baufällige Turm über den Baumkronen empor. Die zerklüftete Mauer auf der Turmspitze schien genau auf den Mond zu zielen.
    »Ich … kann nicht mehr …« Fürstin Yanagisawa ließ Reikos Hand los und blieb stehen.
    »Doch, Ihr könnt«, beharrte Reiko. Sie hörte Laub rascheln und Zweige knacken. Die Verfolger nahten. »Beeilung!«, drängte Reiko.
    Fürstin Yanagisawa wimmerte. Taumelnd stieg sie die Stufen zum Turm hinauf.
    »Nein!«, rief Reiko. »Wenn wir dort hineingehen, sitzen wir in der Falle!«
    Fürstin Yanagisawa, von Entsetzen gepackt, konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Sie hatte nur den einen Wunsch, sich irgendwo vor dem Feind zu verstecken und auszuruhen. Ohne nachzudenken, wankte sie durch die Tür des Turms in einen düsteren, feuchten Raum. Fürstin Yanagisawa sah, dass Reiko rasch die Stufen zu ihr hinaufstieg.
    »Wo seid Ihr?«, rief Reiko in drängendem Tonfall und lief in den Raum hinein. Fürstin Yanagisawa konnte sie in der Dunkelheit nicht erkennen. »Kommt heraus!«, rief Reiko.
    Obwohl die Fürstin froh war, dass Reiko sie nicht im Stich gelassen hatte, gab sie keine Antwort. Wenn sie Reiko folgte, würde diese sie zwingen, immer weiter zu laufen, bis die Männer sie schnappten und töteten.
    Die Fürstin versteckte sich hinter der verrosteten Kanone.
    Otas Komplize stolperte keuchend in den Turm. Fürstin Yanagisawa sah, dass sich hinter ihm etwas regte und eine Klinge im Mondlicht aufblitzte. Der Samurai stieß einen schmerzerfüllten Schrei aus, bevor er mit einem dumpfen Aufprall zu Boden schlug. Fürstin Yanagisawa begriff, dass Reiko ihn erschlagen hatte.
    »Wir müssen hier raus«, zischte Reiko. »Ota ist uns auf den Fersen. Er weiß, wo wir sind. Macht schnell, bevor er kommt!«
    Doch Fürstin Yanagisawa wollte ihren Zufluchtsort nicht verlassen. Als ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah sie einen fahlen Lichtstrahl durch die Decke schimmern und erkannte die Treppe. Sie stieg die morschen Stufen hinauf und durchquerte das zweite Stockwerk. Aufgescheucht vom Lärm, huschten Ratten und Mäuse durchs Gebälk; Tauben gurrten in ihren Nestern. Als die Fürstin die dritte Etage erreichte, hörte sie Reikos schnelle Schritte auf der Treppe und hinter ihr Otas Keuchen. Die dumpfen Geräusche hallten durch das Verlies. Fürstin Yanagisawa beschleunigte ihre Schritte. Rund und leuchtend schien der Mond durch das viereckige Loch über ihrem Kopf. Sie eilte die letzten Stufen hinauf und trat durch das Loch auf die Turmspitze.
    Das oberste Stockwerk war Wind und Wetter ausgesetzt und mit zerbrochenen Ziegeln, abgebröckeltem Putz und verkohlten Holzsplittern bedeckt. Von drei Seiten aus konnte man beinahe die hohen Baumkronen des Waldes berühren. Auf der vierten Seite schimmerte tief unten der See. Fürstin Yanagisawa überkam ein Schwindelgefühl, als sie einen raschen Blick in die Tiefe warf. Sie hockte sich in die Ecke der einzigen intakten

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