Der Palast
geben, was sie im Austausch für die Frauen verlangen?«, rief Kammerherr Yanagisawa empört.
»Oder dass wir diese Bestien ungestraft davonkommen lassen?«, fügte Hoshina im gleichen Tonfall wie sein Geliebter hinzu.
»Den Entführern nachzugeben, würde das Tokugawa-Regime schwach und verletzlich erscheinen lassen«, sagte Makino, der Vorsitzende des Ältesten Staatsrats, worauf seine Amtskollegen zustimmend nickten.
Hirata schaute Sano an. In seinen Augen lag ein verletzter Ausdruck, als hätte Sano ihn verraten. »Wir haben keine andere Wahl«, sagte er flehend. »Rufen wir unsere Ermittler zusammen und ziehen wir gegen den Feind!«
Es schmerzte Sano, Hirata diesen Wunsch abzuschlagen und stattdessen Zeit zu schinden, während Reiko und Midori in Gefahr schwebten; doch er war entschlossen, die Versammlung davon zu überzeugen, dass es keine andere vernünftige Lösung gab, als einen Aufschub zu erwirken.
»Die Frauen sind für die Entführer die Versicherung, dass sie von unserer Seite keine Vergeltung zu befürchten haben«, sagte er. »Verbrecher, die klug genug sind, einen Hinterhalt zu planen und auszuführen, wissen sehr genau, wie wertvoll Geiseln sind. Solange die Entführer in dem Glauben sind, dass sie bekommen, was sie verlangen, wird den Frauen nichts geschehen.«
Sano sah die skeptischen Mienen der anderen und fügte hinzu: »Was die Entführer auch verlangen – es wird ein geringer Preis sein, wenn wir dafür das Leben Keisho-ins retten können.«
Hass schlug Sano aus Yanagisawas und Hoshinas Augen entgegen, doch die Entschlossenheit des Shōgun geriet ins Wanken. »Das ist wahr …«, sagte er.
»Sind die Frauen erst in Sicherheit, können wir die Entführer immer noch ergreifen«, sagte Sano und wandte sich dann an die Mitglieder des Ältesten Staatsrats. »Dass der Pilgerzug in einen Hinterhalt geraten ist und dass die Soldaten und das Gefolge niedergemetzelt und unsere Gemahlinnen entführt wurden … das alles hat bereits gezeigt, wie verwundbar das Regime ist. Es wäre sinnlos, dies abzustreiten, denn die Nachricht wird sich über das ganze Land verbreiten, ohne dass wir es verhindern können. Und ein überstürzter Rettungsversuch wird wahrscheinlich scheitern, was dem Ansehen des bakufu noch mehr schaden würde.«
Makino nickte beipflichtend, wenn auch widerwillig, und schließlich taten Yanagisawa und die anderen Ältesten es ihm gleich. Auf dem Gesicht des Shōgun erschien ein Ausdruck wilder Entschlossenheit. »Sano -san hat Recht«, verkündete er. »Wir werden auf diesen … äh, Brief der Entführer warten.«
»Und in der Zwischenzeit untätig bleiben«, sagte Hoshina und starrte Sano wütend an, denn ihm wurde die Gelegenheit genommen, sich als heldenhafter Retter Keisho-ins aufzuspielen.
Sano verspürte kein Gefühl des Triumphs. Nicht der Polizeikommandeur oder der Kammerherr waren seine Feinde, sondern die Entführer, gegen die er sich hilflos fühlte. »Wir werden nicht untätig bleiben – ganz im Gegenteil«, sagt er zu Hoshina. »Wir müssen zusammenarbeiten, um herauszufinden, wer hinter dem Verbrechen steckt, sodass wir die Täter zum richtigen Zeitpunkt aufspüren und ergreifen können.«
Tokugawa Tsunayoshi nickte beifällig. Die Lage erforderte Einmütigkeit, und es war Sano gelungen, die zerstrittenen Parteien zu beschwichtigen und deutlich zu machen, dass der Überfall und die Entführungen an der Tōkaidō ein Problem darstellten, das nur gemeinsam gelöst werden konnte. Dennoch war die Spannung im Audienzsaal beinahe mit Händen zu greifen. Die Atmosphäre war heiß und stickig, und es roch nach Tabakrauch und Schweiß.
»Ich schlage vor, wir beginnen die Nachforschungen, indem wir mögliche Verdächtige ermitteln«, sagte Sano.
»Der Anführer dieser Bande muss über ausreichend Männer verfügen, um einen schwer bewachten Pilgerzug anzugreifen, oder er hat Geld genug, um genügend Männer anzuwerben«, sagte Hirata, der Sanos Vorgehensweise sichtlich ablehnend gegenüberstand; doch als Samurai und Gefolgsmann Sanos war er verpflichtet, seinen Herrn zu unterstützen.
»Außerdem muss der Anführer zuvor schon gewusst haben, dass Keisho-in und die drei anderen Frauen an der Pilgerreise teilnehmen«, meldete Hoshina sich zu Wort. »Deshalb konnte er seine Leute in Stellung bringen und den Hinterhalt legen.« Sano entging nicht, wie rasch der Polizeikommandeur umgeschwenkt war und nun versuchte, die Nachforschungen an sich zu ziehen, um seine Fähigkeiten
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