Der Palast
als Ermittler unter Beweis zu stellen. »Und weil Keisho-in sich kurzfristig zu dieser Pilgerfahrt entschlossen hatte, sodass sich die Nachricht nicht weit verbreitet haben konnte, muss der Anführer der Verbrecher hier in Edo leben, oder zumindest in der Nähe der Stadt.«
Sano hatte das unbegründete, aber deutliche Gefühl, dass das Verbrechen nicht so leicht zu erklären war, wie es den Anschein hatte. »Ich frage mich, wer das eigentliche Ziel der Entführung gewesen ist«, sagte er.
Auf den Gesichtern der Anwesenden spiegelte sich Erstaunen. Der Shōgun fragte verwundert: »Kann es denn Zweifel daran geben, dass ich das Ziel des Angriffs bin und dass die Entführungen eine kriegerische Handlung darstellen, die gegen mich gerichtet ist?«
»Der Entführer muss ein Feind der Regierung sein«, sagte Makino. »Jemand, der den Shōgun demütigen will und versucht, Geld aus dem Staatsschatz zu erpressen. Wer könnte eine solche Tat begangen haben? Das ist die Frage.«
Sano wusste, dass Makino vor allem auf die daimyo anspielte, die Feudalherrn, die vom Tokugawa-Regime unterdrückt wurden. Auch die rōnin – die herrenlosen Samurai, die ein Quell ständigen Ärgers waren – kamen als Täter infrage. Sogar gemeine Bürger, die sich gegen die strengen Gesetze der Tokugawa auflehnten, konnten das Verbrechen begangen haben. Doch Sano sah noch andere Möglichkeiten.
Kammerherr Yanagisawa meinte nachdenklich: »Vielleicht reicht es den Entführern nicht, der Regierung einen Schlag zu versetzen oder Geld für die Geiseln zu erpressen.«
»Sie haben nicht einmal das Gepäck durchwühlt«, sagte Hoshina. »Ja, sie haben nicht einmal das Gold an sich genommen. Das zeigt, dass sie nicht auf materiellen Gewinn aus sind.«
»Vielleicht stehen persönliche Motive hinter dem Verbrechen«, sagte Yanagisawa und richtete den Blick auf Sano und Hirata. »Der Shōgun ist nicht der Einzige von uns, der Feinde hat. Auch wir haben Gegner, die versuchen könnten, uns einen Schlag zu versetzen, indem sie unsere Gemahlinnen entführen.«
Sano wusste, dass es kaum einen lebenden Menschen gab, der so viele Feinde hatte wie Yanagisawa. Auf der Liste seiner Gegner standen Männer, die er ihrer Macht oder ihres Reichtums beraubt hatte: die Familien einstiger Rivalen, die er verbannen, hinrichten oder ermorden ließ; Geliebte, die er zum eigenen Vorteil benutzt hatte, um sie dann fallen zu lassen.
Ein düsterer Ausdruck erschien in Yanagisawas Augen, als er den Blick auf Hirata richtete. »Gewisse Leute würden nicht einmal davor zurückschrecken, schwangere Frauen zu entführen …«
Hirata erstarrte, als ihm klar wurde, auf wen der Kammerherr anspielte. Bitterer Hass lag in seiner Stimme, als er hervorstieß: »Fürst Niu.«
»Ja, Euer Schwiegervater, der daimyo der Provinz Satsuma«, meldete Hoshina sich nun zu Wort. »Seit Ihr seine Tochter Midori geheiratet habt, seid Ihr und Fürst Niu verfeindet.« Stolz, mit seinem Wissen prahlen zu können, fügte der Polizeikommandeur hinzu: »Vielleicht wollte er seine Tochter auf diese Weise zurückerobern, weil er keine andere Möglichkeit hat.«
»Wenn Fürst Niu dahinter steckt, werde ich ihn töten!«, rief Hirata.
Sano war skeptisch, auch wenn die Erklärung Sinn machte. Doch neben Fürst Niu und Yanagisawas politischen Feinden hatte er einen weiteren möglichen Täter im Sinn. »Wir dürfen die Sekte der Schwarzen Lotosblüte nicht außer Acht lassen«, sagte er.
Die bloße Erwähnung des Namens verpestete die Luft wie ein tödliches Gift. Die Mitglieder des Rates der Ältesten erschauderten bei der bloßen Erinnerung. Hirata blickte Sano an und nickte beipflichtend. Auf den Gesichtern Yanagisawas und Hoshinas erschien ein Ausdruck wachsamen Interesses, während der Shōgun verwirrt dreinschaute. Wie konnte eine zerschlagene, in alle Winde zerstreute buddhistische Sekte etwas mit dem Verbrechen zu tun haben?
»Ihr alle wisst, dass die Schwarze Lotosblüte verboten ist, seit sie vor acht Monaten einen Umsturzversuch unternommen hat«, fuhr Sano fort, »und dass die meisten Mönche, Nonnen und Anhänger der Sekte verhaftet und hingerichtet wurden, weil sie versucht haben, Japan zu vernichten. Doch einige Sektenmitglieder sind noch auf freiem Fuß und haben neue Anhänger gewonnen. Die Schwarze Lotosblüte hasst mich, weil ich eine entscheidende Rolle bei ihrer Zerschlagung gespielt habe und weil meine Gemahlin ihren Hohepriester getötet hat. Die Sekte hat Rache geschworen.«
In den
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