Der Palast
auch aus dem Palast zu Edo verbannt, doch der Shōgun betrachtete Hoshina als Versicherung für Fürstin Keisho-ins Überleben und wollte ihn in der Nähe wissen. Daher hatten die Palastbeamten in aller Eile eine Zelle für Hoshina hergerichtet.
Wachen öffneten die Tür am Ende der Treppe und gestatteten Sano Zutritt zu dem Turmzimmer. Hoshina hockte an einer Wand; die Arme hingen erschlafft über seinen Knien. Als Sano eintrat, hob Hoshina erwartungsvoll den Blick.
»Ich grüße Euch«, sagte Sano leise.
Hoshina starrte ihn enttäuscht an. »Ach, Ihr seid es«, murmelte er.
Offenbar hatte er gehofft, Kammerherr Yanagisawa würde ihn besuchen. Sano hatte Mitleid mit Hoshina, und es war ihm unangenehm, ihm sagen zu müssen, dass Yanagisawa nicht kommen würde.
Nach dem Treffen, bei dem der Shōgun Sano und Yanagisawa beinahe zur Hinrichtung an Hoshinas Seite verdammt hätte, hatten sie den Palast gemeinsam verlassen.
»Hoshina -san muss verhört werden«, hatte Sano auf dem Rückweg zu Yanagisawa gesagt.
»Das übernehmt Ihr«, lautete die klare Antwort des Kammerherrn, der allem Anschein nach zu Hoshina auf Distanz gehen wollte. In seinem kalten Blick spiegelten sich weder Erleichterung darüber, knapp dem Tod entronnen zu sein, noch Schuldgefühle, weil er seinen Liebhaber so schlecht behandelt hatte. »Erstattet mir anschließend Bericht.« Dann hatte er sich mit seinen Gefolgsleuten von Sano verabschiedet.
Sano war zuerst nach Hause zurückgekehrt und hatte seine Ermittler auf dem Hof seiner Villa versammelt. »Ich will wissen, wer den Erpressungsbrief gebracht hat«, hatte er zu seinen Leuten gesagt. »Befragt die Soldaten, die gestern Nacht zum Wachdienst an der Festungsmauer eingeteilt waren. Fragt sie, ob sie gesehen haben, wer den Brief auf die Mauer gelegt hat, oder ob sie jemanden bemerkt haben, der sich vor dem Palast herumgetrieben und sich verdächtig verhalten hat. Falls dies der Fall ist, lasst euch eine genaue Beschreibung der Person geben. Falls nicht, sucht in der Gegend um den Palast nach Zeugen. Falls ihr die Person findet, verhaftet sie und gebt mir sofort Bescheid. Diese Person könnte eine gute Spur zu den Entführern sein.«
Jetzt folgte Sano der anderen Spur. Hoshina war völlig verzweifelt. Er ließ den Kopf hängen, und die Angst hatte dunkle Schatten unter seine Augen gemalt. Sano machte sich große Sorgen um den Polizeikommandeur. Viele Samurai würden Selbstmord als letzten Ausweg betrachten, um dieser unwürdigen Situation zu entgehen.
»Braucht Ihr irgendetwas?«, fragte Sano, der Interesse an Hoshinas Unterbringung vortäuschte und dabei einen prüfenden Blick in die Zelle warf.
Die Beamten hatten bei der Einrichtung der Zelle Rücksicht auf Hoshinas Rang genommen. Auf dem Boden lagen Tatami-Matten, und in einer Ecke erblickte Sano einen Futon. Auf den Fenstersimsen brannte Weihrauch, um Moskitos und den Gestank des stehenden Wassers im Palastgraben unterhalb des Turmes auf der Waldseite zu vertreiben. Auf einem schwarz und golden bemalten Servierbrett aus Lackarbeit standen Schalen mit Suppe, Reis, Garnelen, Gemüse und Tee. An der steinernen Wand stand ein Nachtgeschirr mit Deckel. Sano war erleichtert, als er sah, dass Hoshina nichts dabeihatte, das er als Waffe benutzen konnte, um seinem Leben ein Ende zu setzen.
»Keine Sorge. Man hat mir mein Schwert weggenommen«, sagte Hoshina in sarkastischem Ton. »Sie geben mir noch nicht einmal Essstäbchen.« Er zeigte mit der Hand auf die Speisen, die er nicht angerührt hatte. »Und die Wachen beobachten mich ununterbrochen. Zweifellos hat man dem Shōgun geraten, mich daran zu hindern, seppuku zu begehen, damit die Entführer ihre geforderte Hinrichtung bekommen und Keisho-in am Leben bleibt.«
Wenngleich nicht zugegen, war Kammerherr Yanagisawa eine dritte, beinahe körperlich greifbare Person in der Zelle. Sano wusste, dass Yanagisawa genaue Anweisungen erteilt hatte, was die Bedingungen von Hoshinas Gefangenschaft betraf, und Hoshina schien es zu ahnen.
»Aber ich habe noch nicht die Absicht, durch eigene Hand oder die eines anderen zu sterben.« Hoshina reckte sich, als würde seine alte Kämpfernatur wieder erwachen.
»Ich bin froh, das zu hören«, erwiderte Sano.
Hoshina schnaubte verächtlich. »Das glaube ich gern.«
Offenbar glaubte er, Sano würde sich einzig und allein aus selbstsüchtigen Motiven um ihn sorgen, wie sein giftiger Tonfall verriet, und Sano musste sich eingestehen, dass es der Wahrheit
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