Der Palast
fünf Männer aus den Sätteln und traten durch den blauen Vorhang, auf dem in weißen Schriftzeichen Narayas Name stand. An den Wänden des Geschäfts standen Regale mit Keramiktöpfen. Verkäufer warteten auf Kunden. Als Sano und seine Männer eintraten, breitete sich Stille aus.
»Ich möchte mit Naraya sprechen«, sagte Sano zu einem der Verkäufer. »Wo ist er?«
»Er ist in der Fabrik«, erwiderte der Mann und blickte auf einen Vorhang vor einer Tür auf der Rückseite des Ladens. »Soll ich ihn holen, Herr?«
»Nein, ich finde ihn schon selbst.« Sano wollte mit dem Verdächtigen sprechen, ohne dass dieser vorgewarnt wurde. Als er seinen Männern voran durch die Tür schritt, zwang er sich, kein voreiliges Urteil über Naraya zu fällen. Ein Irrtum war ihm bereits unterlaufen, als er der Schwarzen Lotosblüte die Schuld an dem Verbrechen gegeben hatte. Einen zweiten Fehler, der die Ermittlungen in die falsche Richtung lenkte, konnte er sich nicht leisten. Zudem durfte er die Chancen für einen aussichtsreichen Neubeginn der Ermittlungen nicht ruinieren.
Sie betraten die Fabrikhalle. Rauch- und Dampfschwaden trieben träge durch die Sonnenstrahlen, die durchs Fenster und die Oberlichter fielen. Das Aroma der großen, mit Sojabohnen gefüllten Fässer, die auf Kohlenfeuerherden kochten, und des Weizens, der in Backöfen geröstet wurde, erfüllte die Fabrikhalle. Schwitzende Arbeiter in Leinenbekleidung und mit Stirnbändern schütteten dampfende Sojabohnen auf hölzerne Trockenbretter, zerstampften den Weizen in Mörsern, schleppten Fässer mit Malz und Salzlake herbei und vermischten die Zutaten. Zwischen den geschäftigen Arbeitern lief mit schnellen Schritten ein Mann mittleren Alters in einem blauen Kimono umher.
»Passt gut auf!«, ermahnte er die Arbeiter, die eine zähflüssige, gegorene Masse durch Leinenbeutel pressten. »Behandelt meine Waren mit Vorsicht und Respekt, sonst gelingt es nicht!«
Seine herrische Art wies ihn als den Fabrikinhaber Naraya aus. Er blieb vor einer Reihe von Fässern stehen, nahm eine Probe und schüttelte den Kopf. »Das ist noch nicht fertig«, sagte er zu den Arbeitern. »Der Geist der Sojasauce muss sich länger entwickeln.«
In diesem Augenblick bemerkte Naraya Sano und die Ermittler. Er eilte zu ihnen, verneigte sich und sagte: »Guten Tag, meine Herren. Was kann ich für euch tun?«
Sano musterte den Fabrikinhaber – einen Mann um die fünfzig mit eingefallenen Wangen. Seine Haut, die Zähne, das schüttere graue Haar und das Weiße in seinen Augen hatten eine bräunliche Färbung angenommen, als würde er pausenlos die Sojasauce trinken, die er herstellte. Seine Fingernägel und das billige Baumwollgewand waren mit braunen Flecken übersät. Trotz seines Rufes, einer der reichsten Firmenbesitzer und Händler zu sein, sah Naraya eher wie ein kleiner Ladenbesitzer aus.
Sano stellte sich vor und kam gleich zur Sache. »Ich ermittle im Fall der Entführung von Fürstin Keisho-in und brauche Eure Hilfe.«
»Ah, ich verstehe«, erwiderte Naraya eilfertig, der den Ernst der Lage offenbar sofort erkannte. Dennoch runzelte er verwirrt die Stirn. »Selbstverständlich helfe ich Euch, sōsakan-sama. Dürfte ich Euch und Euren Männern zuerst eine Schale Tee in meinem bescheidenen Wohnhaus anbieten?«
»Nein, danke. Aber lasst uns aus der Halle gehen.« Sano wollte keine kostbare Zeit verschwenden. Als er und seine Ermittler dem Fabrikbesitzer durch die Hintertür folgte, hatte er den Eindruck, dass Narayas Verwirrung und Hilfsbereitschaft echt waren. Schied Naraya als Entführer aus? Oder war alles nur gespielt? Denn falls er der Entführer war, hatte er bestimmt damit gerechnet, dass der Erpressungsbrief den Verdacht auf die Feinde des Polizeikommandeurs Hoshina lenken würde, darunter auch ihn. Er hätte mit einer Vernehmung gerechnet und sich darauf vorbereitet, den Unschuldigen zu spielen.
In der schmalen Gasse zwischen der Fabrik und einer Lagerhalle blieben die Männer stehen. Der Gestank der Müllbehälter, Abortschuppen und Abfalleimer verpestete die Luft, doch Sano nahm es in Kauf. Hier hatte er die nötige Ruhe, das Verhör zu führen.
»Die Entführung ist eine furchtbare Katastrophe«, jammerte Naraya. »Diese dämonischen Kräfte verseuchen unsere Welt! Eure Gemahlin gehört zu den entführten Frauen, nicht wahr?«, fragte er Sano. Als der sōsakan-sama nickte, beteuerte Naraya sein Mitgefühl.
Sano bedankte sich bei dem Händler und musterte ihn
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