Der Partner
Schecks auszuschreiben, bevor eine richterliche Genehmigung dafür vorlag.
SIEBEN
Anwalt Ethan Rapley stieg aus seiner dunklen Dachkammer herunter, duschte, rasierte sich, beruhigte seine blutunterlaufene Netzhaut mit Augentropfen und trank starken Kaffee, während er nach einem halbwegs sauberen Blazer suchte, den er in der Innenstadt tragen konnte. Er war seit sechzehn Tagen nicht mehr in der Kanzlei gewesen. Nicht, dass man ihn dort vermisst hätte. Sie schickten ihm ein Fax, wenn sie ihn brauchten, und er faxte zurück. Er verfasste die Schriftsätze, Aktennotizen und Anträge, die die Kanzlei zum Überleben brauchte, und recherchierte für Leute, die er verabscheute.
Gelegentlich war er gezwungen, eine Krawatte umzubinden und sich mit einem Mandanten zu treffen oder einer grässlichen Konferenz mit seinen Partnern beizuwohnen. Er hasste sein Büro; er hasste die Leute, sogar die, die er kaum kannte; er hasste jedes Buch auf jedem Regal und jede Akte auf jedem Schreibtisch. Er hasste die Fotos an seiner Wand und den Geruch von allem - den abgestandenen Kaffee auf dem Korridor, die Chemikalien in der Nähe des Kopierers, das Parfüm der Sekretärinnen.
Einfach alles eben.
Dennoch lächelte er beinahe, als er sich mit seinem Wagen an diesem Tag durch die Rushhour quälte.
Er nickte einem alten Bekannten zu, während er ziemlich flott die Vieux Marche entlangging. Er richtete sogar ein paar freundliche Worte an die Frau am Empfang, die er zwar mitbezahlte, an deren Namen er sich aber nicht mehr erinnern konnte.
Im Konferenzraum wimmelte es von Leuten, zumeist Anwälten aus den Kanzleien der Nachbarschaft, ein oder zwei Richtern; ein paar Gerichtsbeamte waren auch darunter. Es war nach fünf, und die Stimmung war laut und ausgelassen. Zigarrenrauch hing in der Luft.
Rapley fand den Alkohol auf einem Tisch am anderen Ende des Raumes. Während er sich einen Scotch eingoss, richtete er das Wort an Vitrano und versuchte, erfreut zu wirken. Den Tisch mit Mineralwasser und alkoholfreien Getränken ignorierte er.
»So geht das schon den ganzen Nachmittag«, sagte Vitrano, während die beiden dem Treiben der Menge zuschauten und den angeregten Unterhaltungen lauschten. »Seit die Nachricht draußen ist, ist hier alles außer Rand und Band.«
Die Neuigkeit über Patrick hatte sich in der Juristengemeinde der Küste wie ein Lauffeuer verbreitet.
Anwälte lieben Klatsch, neigen sogar dazu, ihn auszuschmücken, und verbreiten ihn mit atemberaubendem Tempo. Gerüchte wurden aufgeschnappt, gesammelt, erfunden. Er wiegt fünfundsechzig Kilo und spricht fünf Sprachen. Man hat das Geld gefunden. Das Geld ist für immer verschwunden. Er hat in Armut gelebt. Oder war es in einer Villa? Er hat allein gelebt. Er hat eine neue Frau und drei Kinder. Sie wissen, wo das Geld ist. Sie haben nicht die geringste Ahnung vom Verbleib des Geldes.
Alle Gerüchte drehten sich letzten Endes nur um das Geld. Während die Freunde und die Neugierigen im Konferenzraum beieinander standen und sich über dieses und jenes unterhielten, kamen sie unweigerlich auf das Geld zu sprechen. Unter diesen Leuten gab es kaum irgendwelche Geheimnisse.
Jedermann wusste, dass die Kanzlei ein Drittel von neunzig Millionen verloren hatte. Und selbst die allerunwahrscheinlichste Möglichkeit, dass die Kanzlei das Geld doch noch kassieren könnte, ließ Freunde und Neugierige aufkreuzen, auf ein oder zwei Drinks, mit einer Story oder einem Gerücht, einer Information und dem unvermeidlichen »Verdammt, ich hoffe, sie finden das Geld.«
Rapley verschwand mit seinem zweiten Drink in der Menge. Bogan trank Mineralwasser und unterhielt sich mit einem Richter. Vitrano widmete sich den Gästen und bestätigte oder dementierte so viel wie möglich. Havarac saß mit einem alternden Gerichtsreporter, der ihn plötzlich interessant fand, in einer Ecke.
Der Alkohol floss in Strömen, die Nacht brach herein. Die Hoffnungen wuchsen und wuchsen, während der Klatsch in immer neuen Varianten hochgekocht wurde.
Patrick war die Abendnachricht beim Küstensender. Man berichtete de facto über kaum etwas anderes. Da gab es Mast und Parrish, die grimmig auf das Gewirr von Mikrophonen starrten, als wären sie ausgepeitscht und gegen ihren Willen vor die Kameras gezerrt worden. Da gab es eine Großaufnahme der Eingangstür der Kanzlei, aber keine Kommentare von den Verantwortlichen dahinter. Es gab einen kleinen sentimentalen Bericht mit einem Reporter von Patricks Grab aus,
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