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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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geringste Idee hatten, was unser verdammtes Problem war. Wir kannten das Gewässer nicht, in dem wir schwammen. Ich stand auf, ging einmal im Büro rundherum. Nehru schaute auf mich herab. Ich starrte ihn kurz an: Ich weiß mittlerweile einiges über dich, du Mistkerl, du hast diesem Land nicht eben gutgetan. »Wir gehen ganz direkt an die Sache ran«, sagte ich. »Du rufst diesen Typen an, wie hieß er noch gleich?«
    »Trivedi.«
    »Genau, Trivedi. Sag ihm, daß ich mit diesem Shukla sprechen will. Spätestens morgen abend. Keine Diskussionen, kein Hin und Her. Ich rede direkt mit Shukla. Sonst gibt es Ärger.«
    Ich umarmte ihn. Er hatte gute Arbeit geleistet. Dann ging ich zur Baracke zurück, und in dieser Nacht war ich ruhelos, erregt. Jojo bemerkte es. »Du klingst anders als sonst«, sagte sie. »In letzter Zeit war es schwierig, mit dir zu reden. Du warst immer weit weg. Heute bist du anders.«
    »Ich liege nicht.« Ich durchquerte gerade die Baracke, ging vom einen Ende zum anderen, vorbei an dem widerwärtigen Haufen schlafender Häftlinge jenseits des Bereichs meiner Company.
    »Das ist es nicht. Es ist etwas anderes. Du bist wütend.«
    Wut war es nicht direkt, aber so etwas Ähnliches. Ich war aufgeregt, als wäre ich im Begriff, eine Schwelle zu überschreiten. Ich telefonierte noch ein wenig mit Jojo, dann sank ich in einen sehr leichten Schlaf. Am nächsten Morgen um sechs klingelte mein anderes Handy, und ich nahm sofort ab.
    »Ganesh«, sagte eine Stimme.
    Ich schwieg. Ich kannte die Stimme, konnte sie aber nicht einordnen.
    »Ganesh«, sagte er noch einmal. Es war eine volle, tiefe Stimme. Eine glamouröse, generöse Stimme, sehr liebenswürdig.
    »Swami-ji.« Ich hatte das »-ji« eigentlich nicht anhängen wollen, doch es rutschte mir heraus.
    »Nenn mich am Telefon nicht beim Namen, Beta.«
    »Hat mein Freund Ihnen diese Nummer gegeben?«
    »Ja, sie wurde an mich weitergeleitet.«
    »Wir müssen miteinander reden.«
    »Richtig. Aber nicht so. Sondern von Angesicht zu Angesicht.«
    »Das kann aber noch eine Weile dauern.«
    »Keine Sorge. Ich habe mir dein Horoskop angeschaut. Die Zukunft bringt dir Freiheit, Beta.«
    »Wie denn?«
    »Ich weiß keine Einzelheiten, Beta. Was das angeht, bin ich immer ehrlich. Aber ich sehe es. Du wirst sehr bald aus diesem Gefängnis herauskommen. Und dann werden wir uns treffen.«
    »Sie haben mein Horoskop?«
    »Ich beobachte dich schon seit einer Weile. Ich habe auf dich gewartet. Und jetzt hast du mich gefunden.«
    »Sie haben gewartet?«
    »Ja. Und jetzt bist du bereit. Erst mußte dir das Leben seine Lektionen erteilen, und das Yoga mußte dein Bewußtsein vertiefen. Dann warst du bereit. Also bist du zu mir gekommen.«
    Es war unmöglich, ihm zu widersprechen. Im sanften Fluß seiner Stimme lag eine unwiderstehliche Kraft. Ich hatte ein Gefühl der Enge in der Kehle, versuchte die Verschwommenheit aus meinen Augen zu blinzeln. »Ja«, sagte ich. »Ja.«
    »Mach dir keine Sorgen, Ganesh«, sagte er. »Sei ruhig, sei still. Übe Yoga. Warte. Die Zeit wird sich wenden, eine andere Richtung einschlagen. Die Zeit wird sich wenden und abermals wenden. Hab Geduld.«
    Und dann war er weg. Am selben Nachmittag sah ich ihn im Fernsehen. Er saß mit gekreuzten Beinen auf einem Podium, gegen runde weiße Kissen gelehnt, und sprach in ein silbern schimmerndes Mikrofon. Im Hintergrund, hinter seinem Kopf, sah ich unscharf die metallisch glänzenden Radspeichen seines Rollstuhls. Mir war noch nie aufgefallen, was für ein attraktiver Mann er war, mit seinem dichten weißen Haar, das schwungvoll über den Kopf zurückgekämmt, jedoch nicht zu lang war und die gesunde Straffheit seiner glattrasierten Kinnpartie hervorhob. Ich konnte nicht einschätzen, wie alt er war. Seine Anhänger saßen in ordentlichen Reihen vor ihm, die Männer auf der einen und die Frauen auf der anderen Seite. An diesem Tag sprach er vom Erfolg. Warum, fragte er, quält und piesackt es uns so, wenn wir scheitern? Und warum fühlen wir uns manchmal ebenso unbefriedigt, wenn wir erfolgreich sind? Warum ist das Ankommen enttäuschend, obwohl wir doch so lange davon geträumt, so sehr darum gekämpft haben auf dem unbarmherzigen Weg dorthin? Warum? Die Antwort auf beide Fragen, sagte Shukla-ji, lautet: Weil wir an die Illusion des Ich glauben. Ich bin der Handelnde, glauben wir. Wir rufen es in die Welt hinaus: Ich tue dies, ich tue das, ich, ich, ich. Da wir an diese trügerischste aller Illusionen

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