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Der Pathologe

Der Pathologe

Titel: Der Pathologe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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gefahren und dort geblieben. In beiden Nächten hatte Jeremy das cremefarbene Hochhaus bis 3 Uhr morgens beobachtet, wobei er abwechselnd in seinem Wagen saß und in der auf Hochglanz polierten Umgebung umherging. Er spürte die Kälte nicht mehr; eine Art innerer Ofen lief auf Hochtouren.
    Eine gute Gegend zum Spionieren – das Überangebot an Cafés und hochklassigen Cocktailbars sorgte für ein stetiges Tröpfeln von Fußgängern, die seine Anwesenheit weniger verdächtig machten. In der zweiten Nacht besuchte er eine der Bars, ein Lokal auf dem Hale, das Pearl Onion hieß und in dem Martinis absolut angesagt waren. Er riskierte einen, ohne Eis, mit Boodles Gin und dem namengebenden Gemüse – einem Paar –, das in der seidigen Flüssigkeit schwebte. Arthurs Cocktail.
    Nur ein Drink, gefolgt von einem Kaffee. Er saß in einer Fensternische, die ihm durch Spitzengardinen einen Blick auf Dirgroves Haus bot.
    Er passte hierher. Genoss die sanfte Musik – richtigen Jazz –, das Klirren der Gläser, die angeregte Konversation der gut aussehenden, wohlhabenden Singles an der Theke.
    Er hatte darauf geachtet, sich gut zu kleiden – hatte damit begonnen, sich generell besser zu kleiden, um die Anforderungen des … Jobs zu erfüllen. Hatte sein bestes Sportjackett, eine schicke Hose und einen eleganten schwarzen Mantel aus Merinowolle und Kaschmir angezogen, den er vor Jahren zu einem absoluten Spottpreis bei Llewellyn’s erstanden und seitdem kein einziges Mal getragen hatte –
um ihn für welche Gelegenheit eigentlich aufzuheben
?
    Er hatte sogar ein frisch gebügeltes Hemd mit ins Krankenhaus genommen, um sich umziehen zu können, bevor er aufbrach zu seiner …
    Mission?
    In dieser Nacht tauchte Dirgroves Buick nicht wieder auf. Auf der Rückseite des Gebäudes lag ein von Mauern umgebener Hof mit nur einer Ausfahrt aus der Tiefgarage, so dass der Chirurg vorne hätte herumfahren müssen, auch wenn er den Wagen selbst herausgeholt hätte.
    Ted verbrachte die Nacht zu Hause. Um Energie zu sparen?
    Jeremy entledigte sich der Flüssigkeitsmengen, die er zu sich genommen hatte, in der nach Pfefferminz duftenden Herrentoilette der Bar und fuhr nach Hause. Morgen Abend hatte Angela keinen Bereitschaftsdienst, und er musste sich einen Vorwand ausdenken, warum er sie nicht sehen konnte. Wäre es taktvoll, eine Krankheit vorzutäuschen? Nein, das war eine Bumerang-Idee – sie würde bei ihm sein wollen, sich hingebungsvoll um ihn kümmern. Ihm würde etwas einfallen.
    Als er ins Bett kroch, dachte er: Martinis; Arthurs Cocktail.
    Wo war der alte Mann?
    Was war mit seiner Familie passiert?
    Um acht Uhr saß er wieder an seinem Schreibtisch und loggte sich in das
Clarion
-Archiv ein. Er hatte es schon einmal versucht und als Suchbegriff »Mordfall Chess« eingegeben, ohne Erfolg. Überlegte, ob er tiefer graben sollte.
    Jetzt war er besser informiert; er setzte seine Parameter fest.
    Die Sekretärin der Pathologie kannte Arthur nur als eingefleischten Junggesellen, und sie arbeitete schon seit mehreren Jahren im City Central. Niemand, mit dem Jeremy gesprochen hatte, hatte etwas von einer Ehe im Leben des alten Mannes erzählt.
    Also war Arthur schon seit langer Zeit allein; die Tragödie, die sein Leben zerstört hatte, musste vor Jahrzehnten stattgefunden haben.
    Jemand außer den CCC-Leuten kannte die Wahrheit – Arthurs Nachbarin Ramona Purveyance. Sie kannte ihn als gut aussehenden jungen Arzt, der ihr bei der Geburt ihrer Kinder geholfen hatte.
    Lange nach …
    Eine offenherzige Frau, zum Plaudern aufgelegt, aber als sie davon sprach, wie Arthur sein Haus in Queen’s Arms verlassen hatte, war sie Jeremys Fragen ausgewichen.
    Sie kannte das
Martyrium
, das Arthur von jemandem, der schreiende Neugeborene ans Licht holte, in einen Begutachter der Toten verwandelt hatte.
    Das Arthur veranlasst hatte, eine Stelle am gerichtsmedizinischen Institut anzunehmen. Den Rest seines Lebens dem Stillstand des Lebens zu widmen. Trotzdem hatte der alte Mann an den Grundbestandteilen seiner Erinnerungen festgehalten.
    Zwei Kinder. Die ihn umsorgende Ehefrau, die Jeremy heraufbeschworen hatte.
    Diese schnodderige Einschätzung kam ihm jetzt so grausam vor.
    Arthur, der mit Geistern lebte.
    Und doch lächelte er und trank und genoss ein spätes Abendessen. Ging auf Reisen und lernte dazu.
    Und lehrte.
    Plötzlich überkam Jeremy ein Gefühl der Bewunderung für Arthur; aber zur gleichen Zeit erschrak er bei dem Gedanken zu Tode, er

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