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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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ihn so hatte, wie er wollte, rief er die Anzeigenabteilung der
Village Voice
an. Wieder einmal sprach er mit einem Mitarbeiter bei den Kontaktanzeigen. Wie bei einigen früheren Gelegenheiten legte er ein Plauderstündchen ein. Diesmal allerdings achtete er darauf, dem Angestellten mehrere wichtige Fragen zu stellen und ihm einiges an bedeutsamer Information zu liefern:
    »Hören Sie, falls ich nicht in der Stadt bin, kann ich da trotzdem anrufen und die Antworten abhören?«
    »Sicher«, sagte der Mann. »Wählen Sie nur den Zugangscode, egal, von wo Sie anrufen.«
    »Toll«, erwiderte Ricky. »Ich habe nämlich dieses Wochenende was Geschäftliches auf dem Cape zu erledigen, deshalb muss ich für ’n paar Tage hin, aber ich möchte trotzdem die Antworten abhören.«
    »Kein Problem«, sagte der Angestellte.
    »Hoffe, wir haben gutes Wetter. Laut Wetterbericht soll es Regen geben. Waren Sie schon mal auf dem Cape?«
    »War mal in Provincetown«, sagte der Mann. »Mächtig was los da oben ab dem vierten Juli.«
    »Können Sie laut sagen«, erwiderte Ricky. »Mein Feriendomizil ist in Wellfleet. War es jedenfalls mal. Musste verkaufen. Wegen ’nem Feuer. Will nur rüber, um die letzten kleinen Angelegenheiten zu regeln, dann ab zurück nach New York, in die übliche Tretmühle.«
    »Ich weiß, wovon Sie reden«, sagte der Angestellte. »Wünschte, ich hätte ein Ferienhaus auf dem Cape.«
    »Das Cape ist was Besonderes«, sagte Ricky und betonte jedes Wort. »Man geht nur im Sommer hin, vielleicht schon mal im Herbst oder Frühling, aber jede Jahreszeit geht einem auf besondere Weise ans Herz. Mehr als ein Zuhause. Ein Ort für den Anfang und fürs Ende. Wenn ich sterbe, will ich da begraben werden.«
    »Davon kann ich nur träumen«, sagte der Mann ein wenig neidisch.
    »Vielleicht mal eines Tages«, fügte Ricky hinzu. Er räusperte sich, um seinen Anzeigentext durchzugeben. Er betitelte sie: AUF DER SUCHE NACH MR. R.
    »Meinen Sie nicht ›Mr. Right‹?«, fragte der Angestellte.
    »Nein«, sagte Ricky. »›Mr. R.‹ ist gut.« Dann legte er mit dem Vers los, in der Hoffnung, dass er der letzte war, den er zusammenstoppeln musste:
     
    Ricky ist hier, Ricky ist dort.
Ricky ist an jedem Ort.
Ricky zieht vielleicht gerne rum,
Vielleicht ist diese Zeit bald um,
Er ist nach Hause aufgebrochen
Und dort in ein Versteck gekrochen.
Mal an einem alten Ort, dann an einem neuen,
Das wird Rumpelstilzchen gar nicht freuen.
Da mag er ihn suchen wie verrückt,
Und Ricky ist wieder die Flucht geglückt.
Doch Mr. R. wird niemals wissen,
Wann Ricky vielleicht wiederkehrt,
Als Erzfeind, nicht zu vergessen,
Der Böses und den Tod beschert,
Egal, wie sich das Opfer wehrt.
     
    »Stark«, sagte der Angestellte mit einem gedehnten Pfiff. »Das ist ein Spiel, sagen Sie?«
    »Ja«, antwortete Ricky. »Allerdings nicht nach jedermanns Geschmack.«
    Die Anzeige war für den folgenden Freitag bestellt, was Ricky wenig Zeit für die Vorbereitungen ließ. Er wusste, was passieren würde: Die
Voice
flatterte in Wahrheit schon am Vorabend in die Kioske, und zu dem Zeitpunkt würden alle drei die Nachricht lesen. Allerdings würden sie abermals nicht per Zeitung antworten. Das wird Merlins Job, dachte er, in diesem unwirschen, fordernden, unterschwellig drohenden Anwaltston. Merlin wird beim Leiter der Anzeigenabteilung anrufen und sich zügig durch die Hierarchie des Blatts bis nach unten durcharbeiten und den Angestellten finden, der die Annonce telefonisch entgegengenommen hat. Und er wird ihn genauestens über den Mann ausfragen, der sie aufgegebenhat. Der Angestellte wird sich mühelos an die Unterhaltung über das Cape erinnern. Vielleicht, überlegte Ricky, weiß er sogar noch, dass ich eines Tages dort begraben werden möchte, ein schlichter, bescheidener Wunsch, der aber bei Merlin einiges auslösen wird. Sobald er die Informationen hat, wird er sie an seinen Bruder weitergeben. Eine bescheidene Schutzmaßnahme sicherlich, aber unverzichtbar. Dann werden die drei sich wieder in die Haare kriegen. Die beiden Jüngeren sind ziemlich verängstigt, vermutlich so sehr wie seit ihrer Kindheit nicht mehr, als die Mutter, die sie liebten, sie im Stich ließ und Selbstmord beging. Sie werden sagen, dass sie Mr. R. auf seiner Jagd begleiten wollen, und sie werden sagen, dass sie sich für die Gefahr, in die sie geraten sind, verantwortlich fühlen, und auch irgendwie schuldig, schätzte er, weil er sie noch einmal beschützen muss. Aber sie

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