Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
Vom Netzwerk:
gegeben,kein Aufbahren zwischen Kerzen, um ein letztes Mal Abschied zu nehmen. Stattdessen hatten sie Heinrich ohne Umwege zum Gottesacker gebracht, vor die Grube, die der Bucklige bereits freigeschaufelt hatte. Dort hatten sie noch einmal gebetet, den Leichnam in die Grube gelegt, wo er ein letztes Mal mit Weihwasser besprengt und beräuchert wurde, und ihre Schaufeln mit Erde geworfen, einer nach dem andern, Clara zuletzt. Damit war alles vorbei gewesen.
    Den Nachmittag hatten sie zu zweit in der Küche verbracht. Während Benedikt einen Hirsebrei bereitete und heißen Gewürzwein aufsetzte, saß Clara wie versteinert auf der Bank, unfähig, sich zu rühren oder zu sprechen.
    «Weißt du noch», sagte er, nachdem er den ersten Schluck Wein genommen hatte, «wie Vater einmal den Fleischergesellen verdroschen hatte, weil er dir auf dem Tanzboden auf den Hintern gehauen hatte?»
    Sie nickte. Das war vor Jahren auf dem Frühjahrsmarkt gewesen, und sowohl der Geselle als auch Heinrich hatten erheblich einen über den Durst getrunken. Der halbe Tanzboden war schließlich in die Rauferei verwickelt worden.
    «Und mich hat er mal verhauen», fuhr Benedikt fort und lächelte plötzlich, «weil ich in die Regentonne gefallen war.»
    «Dein Vater konnte recht aufbrausend sein», entgegnete sie leise und nahm einen ersten Löffel Brei. «Darin seid ihr euch ähnlich.»
    «Ich war immer sehr stolz auf Vater. Aber ich hab es nicht zeigen können.»
    Jetzt musste Clara wider Willen lächeln. «Weil ihr zwei Sturköpfe seid. Er war geradeso stolz auf dich, auch wenn du es nie gemerkt hast.»
    «Jetzt weiß ich es. Er hat es mir gesagt.»
    Und Benedikt berichtete ihr von den letzten Worten seines Vaters auf dem Sterbebett.
    Bis in den frühen Abend erzählten sie einander von ihren Erinnerungen an den toten Ehegefährten und Vater, sprachen über lustige wie aufregende Augenblicke aus dessen Leben, lachten und weinten dabei. Als die Kirchturmuhr die sechste Stunde schlug, sprang Benedikt auf.
    «Ich muss zum Mittnacht Ulmann. Ich hab es ihm versprochen.»
    «Nein, Benedikt. Du bleibst hier. Ich hab schon meinen Mann an diese Seuche verloren. Nicht auch noch meinen ältesten Sohn. Ich gehe zur Grede.»
    «Aber – du musst zurück zu den Kindern. Da kannst du jetzt nicht in die Stube eines Pestkranken.»
    Sie schüttelte bestimmt den Kopf. «Ich geh nicht zurück. Ich werde hierbleiben und Heinrichs Aufgabe übernehmen.»

Kapitel 27
    D ieser Entschluss, so unvermittelt er bei dem Gespräch mit Benedikt über sie gekommen war, fiel ihr nicht leicht. Aber sie spürte, dass sie etwas Sinnvolles tun musste, etwas, das über ihr eigenes kleines Familienleben hinausging. Und was gab es Sinnvolleres in diesen Wochen, als Heinrichs Vermächtnis anzunehmen und die Pestkranken zu versorgen? War sie schon nicht bei ihrem Mann gewesen, als er den letzten Atemzug getan hatte, so war sie ihm zumindest schuldig, seine Aufgabe weiterzuführen. Und wer weiß – vielleicht vermochte sie damit auch ein kleines Stück ihrer Schuld an Esther abzuarbeiten.
    Benedikt war hierüber entsetzt gewesen, hatte sie indessen nicht abbringen können von ihrer Entscheidung, nicht einmal, als er auf ihre Pflichten als Mutter pochte. Clara wusste, dass Daniel die Kinder verteidigen würde wie seine eigenen. Und Johanna war die tapferste und verlässlichste junge Frau, die sie kannte. Allein, wie sie sich bei der Nachricht von Heinrichs Tod verhalten hatte! Sie hatte am heftigsten geweint von allen, hatte dann aber die Geschwister um sich geschart, um zu beten und sie zu trösten, und am Ende ihre Mutter aufgefordert, in die Stadt zurückzukehren. «Nimm Abschied von Vater und bring ihn unter die Erde», waren ihre Worte gewesen. «Wir kommen zurecht.» Mit Benedikt war sie schließlich übereingekommen, dass er alle zwei, drei Tage im Wald nach dem Rechten sehen sollte.
     
    In kürzester Zeit schon hatte sich in den Gassen herumgesprochen, dass fortan bei Pestilenzverdacht die Grathwohlin zu holen sei. Hätte man sie noch ein Jahr zuvor wegen Kurpfuscherei und Amtsanmaßung vor die Zunft und vor das Stadtgericht gezerrt, so war aus dieser Richtung nun kein Mucks mehr zu hören. Vielleicht lag es daran, dass auch in den Reihen der Stadtoberen die ersten Opfer zu beklagen waren. So hatte die Lungenpestilenz kurz nach Heinrichs Tod den Ratsherren Pfefferlein dahingerafft.
    Drei Tage später hatte Clara dann der armen Grede die Augen schließen müssen, und täglich

Weitere Kostenlose Bücher