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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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hatten, essiggetränkte Tücher vor das Gesicht.
    «Ich glaube, ich stinke sogar schon inwendig nach Essig», sagte Mechthild, als sie wieder einmal eine ihrer Reinigungen beendet hatten. «Ich bekomme den Geruch von der Haut gar nicht mehr weg.»
    «Umso besser! Eigentlich sollte man bei einer neuen Erkrankung das ganze Haus mit Essigwasser reinigen. Wenn man die Leute nur zu mehr Reinlichkeit bringen könnte!»
    Sie lehnten am Rand des Oberlindenbrunnens und gönnten sich eine Ruhepause, bevor sie zu einem besonders schweren Gang aufbrechen würden: zu den beiden jüngsten Kindern von Marti, dem Nadelmacher.
    Um sie herum strömten die Männer zum Feierabend in die Trinkstuben. Eine Gruppe junger Kerle pöbelte herum. Einer von ihnen streckte ihnen die Zunge heraus, griff sich in denSchritt und wiegte obszön den Unterleib in ihre Richtung. Sein Kumpan stellte sich breitbeinig gegen Meister Christoffels Apotheke, nestelte sein Glied unter der Tunika hervor und pisste ungeniert gegen die Eingangstür.
    «Was bin ich froh, dass ich eine alte Frau bin», stöhnte Mechthild. «Als junges Ding mag man sich in jetziger Zeit ja gar nicht mehr auf die Gasse trauen. Und meine eigenen Söhne gehören zu den schlimmsten Rüpeln.»
    «Vermisst du eigentlich deinen Gottfried noch ab und an?», fragte Clara.
    Ihre Freundin senkte den Blick. «Manchmal denk ich, ich bin froh, dass er tot ist. Ich bete täglich um sein Seelenheil, aber trotzdem vermisse ich ihn nicht.»
    «Er hat dich oft geschlagen, nicht wahr?»
    «Halbtot hat er mich schon geprügelt, sodass ich tagelang nicht vor die Haustür konnte. Dabei war er so ein ruhiger Mensch, als ich ihn kennenlernte. Aber ich hab ihm halt nie was recht machen können.»
    Mechthild benetzte sich Stirn und Nacken. Sie sah müde aus. «Aber das ist nun vorbei. Dir zum Dank, Clara, habe ich eine wichtige Aufgabe vor Gott. – Weißt du, was ich manchmal glaube?», lenkte sie ab. «Die Menschen sind zu faul und zu einfältig. Statt sich selbst ein wenig reinlich, statt mit Mühe und Sorgfalt ihr Haus sauber zu halten, geben sie lieber ihren letzten Pfennig für sündhaft teure Amulette aus. Hängen sich Alraunmännchen oder Pestkreuze um den Hals, mit Zaubersprüchen und magischen Zeichen, und dann holt Gevatter Tod sie doch.»
    Clara nickte, obwohl sie fest an die verstärkende Wirkung von Segenssprüchen und Beschwörungen glaubte. Viel ärgerlicher als die Trägheit der Leute fand sie diese Winkelheiler, die,wer es sich leisten konnte, ins Haus bestellte. Mit Tinkturen aus Krötenlaich und Knabenurin, aus Menschenblut und Gamskugel hantierten die herum oder drückten lebende Hühner auf die Pestbeulen. Die machten oft alles nur noch schlimmer.
    Dabei würde jetzt, wo die Seuche die Stadt im Griff hatte, nur noch nutzen, was schon Heinrich dem Rat nahegelegt hatte: Jeder neu Erkrankte musste angezeigt und in ein Pesthaus vor die Stadt gebracht werden. Die Gassen mussten sauber gehalten, die Tierkadaver regelmäßig entfernt, die Spelunken, Bordelle und Bäder geschlossen werden. Denn wer die Krankheit in sich trug, brachte sie dort, wo man sich versammelte, erst recht unter die Menschen. Genau wie – und diesen Gedanken wagte Clara fast nicht zu Ende zu denken – bei den noch immer täglichen Massengottesdiensten und Bittprozessionen um die Stadt.
    Sie selbst betete jeden Morgen und jeden Abend zu den Heiligen Christophorus und Barbara, die für einen guten, sanften Tod standen. Seite an Seite arbeitete sie inzwischen mit dem Sensenmann, er war zu ihrem ständigen, vertrauten Begleiter geworden. Und dennoch gab es Stunden, da hatte sie große Angst vor dem Sterben – vor diesem qualvollen, vergeblichen Kämpfen und Ringen, das sie in den letzten Wochen oft genug zu sehen bekommen hatte.

Kapitel 28
    M ittlerweile war der Erntemonat angebrochen. Benedikt fürchtete, dass die ohnehin schlechte Ernte erst gar nicht eingebracht werden konnte, wenn es so weiterging mit dem Großen Sterben. Dann würde obendrein noch eine Hungersnot ausbrechen.
    Mehrmals die Woche schleppte er Vorräte in den Wald. Gott sei Dank hatte sich außer ein paar Bettlern niemand mehr bei der Hütte blicken lassen, sodass die Familie halbwegs wohlauf zu sein schien. Auch wenn immer dieselben kargen Zutaten in den Topf kamen, hatten sie genug zu beißen, und jetzt im Spätsommer gab es zudem vielerlei Waldfrüchte und die ersten Pilze. Die Kleinen sahen inzwischen aus wie Bauerskinder: braungebrannt, barfüßig,

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