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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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ersparen. Nicht der unerträgliche Gestank des Friedhofs schreckte ihn ab, sondern der traurige Anblick seiner verwaisten und verwahrlosten Baustelle. Obendrein hatten vor einigen Tagen Brandstifter die Werkstatt abgefackelt, wohl aus Zorn, weil sie im Innern nichts von Wert hatten finden können.
    «Mutter? Bist du da?», rief er, kaum dass er die Haustür aufgestoßen hatte. Da niemand antwortete, betrat er die Küche. Dort kauerte Mechthild am Tisch, mit eingezogenen Schultern und geröteten Augen. Über dem Herd kochte Wasser im Kessel.
    «Wo ist meine Mutter?»
    «Oben. Es geht ihr nicht gut.»
    «Was soll das heißen?»
    «Sie hat hohes Fieber.» «Hat sie Schüttelfrost?» Seine Stimme wurde schrill. «Starke
    Kopf- und Gliederschmerzen? Spricht sie unsinniges Zeug?»
    Er schwankte gegen die Tischplatte. Alles, was er über die Seuche wusste, wirbelte ihm durch den Kopf.
    «Bitte, Benedikt, hör auf damit. Wir dürfen nicht gleich das Schlimmste denken. Deine Mutter arbeitet seit Wochen wie ein Pferd, schläft zu wenig, isst schlecht. Da kann es schnell zu Auszehrung oder einem schweren Katarrh kommen. Und bislang deutet nichts auf etwas anderes hin.»
    «Das glaubst du wirklich? Gerade du, die du mit meiner Mutter in den Pesthäusern ein und aus gehst?»
    Ihr Blick wich ihm aus. «Hilf mir lieber, Kräutersud aufzusetzen. Und dann besorg irgendwo starken Rotwein. Sie muss wieder zu Kräften kommen.»

Kapitel 33
    D en Sonntag und Montag über blieb Claras Zustand unverändert. Durch das Fieber schwitzte sie stark, wirkte benommen und wollte außer Flüssigkeit nichts zu sich nehmen. Mechthild und Benedikt wechselten sich in der Pflege ab, gaben ihr zu trinken, legten Wadenwickel an und versuchten ihr hin und wieder süßen Milchbrei einzuflößen. Um an Honig zu kommen, hatte Benedikt beim Apotheker einen wertvollen Zinnteller eintauschen müssen.
    Noch immer wollte ihm Mechthild einreden, dass es sich um einen Katarrh handle, selbst als zum Schüttelfrost auch noch gallige Durchfälle und Nasenbluten hinzukamen. Doch sein Gefühl sagte ihm etwas anderes. Mehrmals am Tag bat er die heilige Elisabeth, als Schutzpatronin der Kranken, um Fürbitte für seine Mutter, flehte sie an, für seine Mutter einzustehen. Er hätte es nicht ertragen, nach dem Vater nun auch noch die Mutter an die Pest zu verlieren.
    Am Dienstagmorgen erwachte er noch vor Sonnenaufgang. Er hatte unruhig geschlafen und am Ende einen seltsamen, zugleich wunderbar tröstlichen Traum gehabt. Nach langer Zeit zum ersten Mal war ihm Esther wieder erschienen, so leibhaftig, als würde sie vor ihm stehen in seiner kleinen Schlafkammer. Sie hatte älter ausgesehen, als er sie in Erinnerung hatte, reifer, und ihr Gesicht hatte alles Jungmädchenhafte verloren. Dabei war sie schöner denn je.
    Aus der Finsternis der Nacht trat sie auf ihn zu, im Scheineines rosenfarbenen Lichtes, und sagte ihm, dass sie in seiner Kirche gewesen sei, um sich dort ihr Bildnis anzusehen. «Du hast einen guten Platz dafür gefunden, aber er wird nicht für die Ewigkeit sein. Doch deswegen bin ich nicht gekommen. Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass du keine Angst haben musst. Deine Mutter ist stark, so stark wie du.» Sie nahm ihn in die Arme, und er konnte ihren warmen, weichen Körper spüren. Über ihre Schulter hinweg sah er die Gestalt seines Vaters, der ihm zulächelte und nickte. Da hatte er im Traum zu weinen begonnen und war aufgewacht.
    Wie gerne hätte er seiner Mutter von diesem Traum erzählt, sie gefragt, was es damit auf sich hatte. Vermochten Tote mit den Lebenden zu sprechen? Wussten sie mehr als die Lebenden?
    Während er Mühe hatte, in die Wirklichkeit zurückzufinden, lauschte er der Dunkelheit. Von nebenan drang schmerzvolles Stöhnen herüber. Mit einem Satz war er aus dem Bett, streifte sich sein Hemd über, entzündete die Lampe und klopfte an die Nachbarkammer. Das Stöhnen wurde lauter. Voller Angst riss er die Tür auf. Im Schein der Lampe sah er seine Mutter sich hin und her wälzen, sie hatte die Decke von sich geworfen und war schweißgebadet. Plötzlich hielt sie inne.
    «Bleib – weg!», keuchte sie.
    Da entdeckte er die blauschwarzen Flecken in ihrer rechten Armbeuge.
    «Nein!», entfuhr es ihm als ein verzweifelter Schrei. Er hörte sie etwas flüstern, was wie «Hol Mechthild her!» klang.
    «Hab keine Angst, Mutter – ich bin gleich wieder da.»
    Er rannte zurück in seine Schlafstube, kleidete sich an und stolperte die Treppe

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