Der Peststurm
Besinnungslos fiel sie zu Boden.
»Mama! … Mama?« Sarah kniete sich neben ihre Mutter und schüttelte sie.
»Schhh … Schhh … «, beruhigte sie die Alte, die ihr bisher schon beigestanden hatte.
»Kann ich die beiden bei Euch lassen, gute Frau?«, fragte der Kastellan die auch ihm Fremde.
»Ja, hoher Herr! Ich kümmere mich um sie und werde dafür sorgen, dass sie so lange hierbleiben, bis Ihr zurückkommt.«
Kurz darauf sah Ulrich Dreyling von Wagrain das mit Flecken überzogene Tuch, unter dem sich die Form eines Körpers abzeichnete. Als er die Plane anhob, erschrak er, erkannte aber nicht, um wessen Leichnam es sich handelte.
»Jakob«, hörte er Lodewig leise sagen.
Anstatt sich wie gewohnt herzlich zu begrüßen, sahen sich die beiden nur kurz an.
»Was ist mit Lea?«, wollte der Vater wissen, bekam aber nur ein Achselzucken zur Antwort. »Ich werde dir helfen«, beschied er seinen Sohn, der längst damit begonnen hatte, Leas Leiche zu suchen.
»Ja, Vater«, nickte Lodewig, dem jetzt beim Anblick des kräftigen Mannes fast ein erleichtertes Lächeln über die Lippen zu huschen schien. Während der Kastellan hastig die einzelnen Teile seiner Reiserüstung und sein gelbes Samtwams ablegte, um sofort die Ärmel hochkrempeln zu können, realisierte Lodewig langsam, dass jemand da war, bei dem er sich ausweinen konnte. Er tastete sich aus dem Verhau heraus zu seinem Vater zurück und umarmte ihn so innig, als wenn er ihn ewige Zeiten nicht mehr gesehen hätte. Jetzt erst wusste er, wie viel Last eine innige Umarmung zu nehmen und wie viel Kraft sie zu geben vermochte. Er konnte seine Tränen nicht mehr zurückhalten.
»Warum nur?«, fragte er seinen Vater, der eine Antwort schuldig bleiben musste, obwohl er diese Frage gestern von seinem anderen Sohn schon einmal gehört hatte, jetzt aber nur schweigend Lodewig in den Armen hielt und dabei mit raschen Blicken die Brandruine absuchte.
Obwohl der Kastellan nur annähernd erahnen konnte, was Lodewig in den letzten Stunden mitgemacht und geleistet hatte, lobte er ihn. Als er seinem Sohn auch noch sagte, dass er ihn unendlich liebe, verstärkte sich die schwermütige Gemütslage des jungen Mannes noch mehr, was sich umgehend in einem neuerlichen Weinkrampf äußerte.
Während der innigen Umarmung sah Lodewig, wie Sarah auf dem Boden kniete und das Gesicht ihrer neben ihr liegenden Mutter streichelte, während die fremde Frau irgendetwas unter deren Kopf zu stopfen schien.
Er wischte sich die Tränen aus dem Gesicht: »Oh je! Ich habe gar nicht gemerkt, dass Judith auch hier ist. Hast du sie mitgebracht?«
»Nein, mein Sohn. Ich komme direkt aus Bregenz.«
»Was ist mit ihr? Wie geht es Eginhard?«, fiel Lodewig in diesem Moment, einem Moment der Verwirrtheit und des Verzweifelns, sein älterer Bruder ein.
»Eginhard geht es gut. Mach dir darüber keine Gedanken. Aber Judith hat diesen Anblick wohl nicht verkraftet und ist zusammengebrochen. Sie ist zum Glück nur besinnungslos.«
»Vielleicht ist das ganz gut so. Zumindest, bis ich Lea gefunden und sie ebenfalls mit einem Tuch bedeckt habe.«
Der Kastellan beendete diese Unterhaltung, indem er sagte: »Ich helfe dir dabei.«
Gemeinsam räumten sie die kreuz und quer herumliegenden Bretter und Balken auf die Seite.
Die beiden waren derart in ihre Arbeit vertieft, dass sie nicht gemerkt hatten, wie Judith Bomberg aus ihrer Besinnungslosigkeit erwacht war und nun schon eine ganze zeitlang neben Jakob kniete. Als sie sich endlich traute, das Tuch zurückzuschlagen und den Kopf ihres geliebten Mannes freizulegen, durchschnitt ein markerschütternder Schrei den Unterflecken, der Lodewig augenblicklich auf seine Schwiegermutter aufmerksam werden ließ. »Lieber Heiland! … Nein!« Er hangelte sich hastig aus den Trümmern, in denen er soeben noch nach Lea gesucht hatte, eilte zu seiner Schwiegermutter und legte seine Hände sanft auf die ihren. »Bitte, Judith, schlag das Tuch nicht weiter zurück.«
Obwohl sich die starr vor sich hin schauende Jüdin nicht ganz sicher war, vermutete sie, dass es ihr Mann war. »Geh, und lass mich mit Jakob allein«, schrie sie ihn völlig verstört an, um gleich darauf lauthals nach Lea zu rufen.
Eingeschüchtert ging Lodewig zu seinem Vater zurück und erklärte sein Eingreifen damit, dass er hatte verhindern wollen, dass Judith die Arme ihres Mannes sehen würde. Die beiden Männer hielten sich aber nicht lange mit Schwatzen auf, sondern schafften umso
Weitere Kostenlose Bücher