Der Peststurm
Mäuse.«
»Wie meint Ihr das, Bruder Nepomuk?«, fragte Remig verunsichert, als er erfreut ein Stück Geräuchertes und einen Laib Brot in Empfang nahm.
»Na ja: Seid Ihr nicht auf Brautschau?«
»Nein! Wie oft soll ich es noch sagen, dass ich in Stiefenhofen nur meine Verwandten besuchen möchte und kein reiches Weib zu finden hoffe«, dementierte er verärgert das Gerücht, das sich in Simmerberg seit Monaten hartnäckig hielt.
Bevor er sich für das wertvolle Geschenk bedankte, fügte er nachdenklich an: »Obwohl? Warum eigentlich nicht? … Vielleicht finde ich wirklich noch ein reiches Weib mit drallen Brüsten, das zu mir passt.«
»Ein verrückter Vogel«, kommentierte Nepomuk das von Remig zuletzt Gesagte, während er den Pferden den Befehl »Hü!« gab und mit der Zunge schnalzte.
Auch wenn er kein Hufschmied mehr ist, so kann er immer noch gut mit Pferden umgehen, dachte der Kastellan, als sie an die Abzweigung nach Staufen kamen, wo der hünenhafte Kutscher »Hott!« rief und durch ein leichtes Ziehen am rechten Zügel das Gefährt nach rechts leitete.
*
Es dauerte nicht lange und sie näherten sich Staufen.
»Was für ein prächtiges Bild«, zeigte sich Nepomuk beeindruckt. »Wie heißt dieses imposante Gebirge?«
»Man nennt es ›Nagelfluhkette‹. Sie zieht sich rechter Hand bis nach Österreich.«
Nepomuk zeigte nach vorne: »Und wie heißt dieser Berg?«
»Das ist der Rindalpner Kopf!«
»Nein, ich meine den beeindruckenden Berg rechts daneben.«
»Den nennt man Obergölchenwangergrat und … «
Als der Zeigefinger des Kastellans wieder nach links glitt und er erklären wollte, dass sich diese Voralpenlandschaft bis zur rothenfelsischen Residenzstadt zog, stutzte er.
»Was ist, Ulrich?«
»Sieh mal, Nepomuk. Dort! Ist das Nebel? … Nein! Ich glaube, das ist Rauch«, war sich der Kastellan unsicher.
»Hmmm … Schwer zu sagen. Wenn ja, dann stammt es von einem kleinen Strohfeuer.«
»Ich glaube eher, dass es die Reste eines größeren Feuers sind«, vermutete der Kastellan, der aufgrund seiner Ortskenntnis schnell ausmachen konnte, dass die kleinen Rauchfetzen nicht vom Schloss kommen konnten, sondern vom Unterflecken stammen mussten. Diese Erkenntnis beruhigte ihn aber nur wenig und er schlug Nepomuk vor, das Fuhrwerk allein nach Staufen zu lenken, während er selbst vorausreiten wollte, um nachzusehen, was in Staufen los war.
»Wahrscheinlich gehen die protestantischen Brandleger ihrem schändlichen Handwerk nach«, stänkerte der katholische Mönch, der die kleinen Rauchwölkchen zwar nicht ernst nahm, vorsichtshalber aber schon mal seine Waffe bereitlegte – immerhin hatte er von Ulrich erfahren, dass der große Glaubenskrieg auch im Allgäu tobte.
»Da du das Schloss gleich sehen wirst, muss ich dir den Weg nicht erklären. Bis dann.«
*
Der Kastellan trieb sein hastig vom Karren abgeschirrtes und reitfertig bezäumtes Pferd sanft zur Eile an und ritt Minuten später in den Ort hinein. Dort stellte er mit Entsetzen fest, dass das Heim der Bombergs ein Raub der Flammen geworden war. Fast gleichzeitig sah er Judith Bomberg in Richtung ihres Hauses rennen. Wenn er auch sonst sanft mit Pferden umging, hieb er der braunen Stute jetzt doch die Hacken seiner Stiefel in die Seiten, um die verzweifelt wirkende und hysterisch schreiende Frau abzufangen, bevor sie zu nahe an die Brandruine kam. Als er ihr zurief, auf ihn zu warten, wurde auch die auf der Wiese sitzende Sarah aufmerksam und wandte sich in seine Richtung. Das Mädchen erblickte die Mutter und ließ sich jetzt von nichts und niemandem mehr aufhalten. Sie riss sich aus den Armen der hilfsbereiten Frau, die ihr in der letzten Stunde so viel Trost gespendet hatte, und rannte laut schluchzend ihrer Mutter entgegen. »Mama! … Mama! … Es ist so schrecklich!«
Judith Bomberg drückte ihre Tochter fest an sich, während ihre Blicke hastig das Gelände absuchten. Wo ihr Mann und Lea waren, traute sie sich kaum zu fragen. Anstatt die unausgesprochene Frage zu beantworten, weinte Sarah so laut los, dass es zum Erbarmen war.
Langsam lenkte Judith ihre Schritte in Richtung des angsteinflößenden Holzhaufens, in dem jemand zu wühlen schien. Bevor sie erkannte, dass es Lodewig war, stand der Kastellan an ihrer Seite und packte sie entschlossen an den Armen.
»Judith! Bleib mit Sarah hier, während ich nachsehe und kläre, was geschehen ist.«
Aber dies hörte die apathisch wirkende Frau nicht mehr.
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