Der Peststurm
gekommen.«
»Wie?«, interessierte es den Blaufärber.
»Das möchte ich euch beiden ersparen. Jetzt lasst uns weitersuchen.«
Der Kastellan wollte noch Lodewigs Wams mitnehmen, wurde aber von Nepomuk am Arm gepackt und weggezogen: »Jetzt nicht, Ulrich! Wir müssen schnellstens weiter.«
Während die drei im Schein ihrer Fackeln und Öllampen jeden Winkel des Oberfleckens absuchten, hatte ein anderer Suchtrupp den Marktplatz erreicht. »Lodewig«, rief Rudolph immer wieder. »Lodewig! Wo bist du?«
»Schrei zu dieser nächtlichen Stunde nicht so laut herum. Du siehst doch, dass er hier nicht sein kann. Vor uns sind nur noch die Reste des jüdischen Hauses, und in Richtung Kalzhofen kommt lange nichts mehr«, mahnte Ignaz zu etwas mehr Besonnenheit.
»Sieh mal! Dort«, Rudolph zeigte aufgeregt in Richtung des Bomberg’schen Anwesens.
»Was ist dort? Ich höre nichts.«
»Natürlich nicht, du Idiot. Aber den Schatten wirst du doch wohl gesehen haben.«
»Was für einen Schatten? Ich habe nichts gesehen. Kann es sein, dass du träumst?«
»Wahrscheinlich hast du recht und es war nur ein Tier. Lass uns dennoch dorthin gehen und uns die Brandruine anschauen.«
»Das ist gut. Ich habe sie auch noch nicht gesehen«, willigte der Knecht ein.
Da Rudolph wusste, dass er sich bei seinem Herrn wegen einiger kleinerer Verfehlungen zurzeit nichts mehr erlauben konnte, fügte er noch an: »Wir sollten leise sein, falls der Kastellan bei seiner Suche hier vorbeikommt. Er muss ja nicht unbedingt wissen, dass sich unsere Neugierde nicht nur auf den Verbleib seines Sohnes beschränkt.«
Da sich einige verkohlte Holzstücke in der Türnut verklemmt hatten, war es Lodewig nicht möglich gewesen, die Luke ganz zu schließen. Und um die Nut freizuscharren, hatte er nicht die Zeit gehabt. Außerdem hätte dies unnötig verräterische Geräusche verursacht.
»Scheiße«, wäre ihm fast schon wieder entfahren, als er den Lichterschein, der durch die Ritzen zu tanzen schien, näherkommen sah. Er hatte Angst und das Gefühl, als wenn eine riesige Faust sein Herz umfassen und langsam zusammendrücken würde. Für ihn war klar, dass es sich nur um den Totengräber handeln konnte, der eine Kerze oder eine Fackel geholt hatte, um ihn aufzustöbern. Leise murmelte der durch Kälte und Schmerz geschwächte Sohn des Kastellans ein ›Vaterunser‹ und bat seinen Schöpfer, nach seinem Tod über Sarah und seinen immer noch ungetauften Sohn zu wachen.
Er schloss mit seinem Leben ab, nahm sich aber vor, seine Haut so teuer wie möglich zu verkaufen, wenn es ihm jetzt an den Kragen gehen sollte. Er hatte das Gefühl, als wenn er 100 Füße auf dem über ihm liegenden Brandholz hören würde. Jeder einzelne Schritt ließ den Bretterhaufen wackeln. Lodewig zuckte dabei immer aufs Neue zusammen. Als einige Bretter direkt auf ihn drückten, drohte er die Fassung zu verlieren und auszubrechen. Um dies nicht zu tun und um sich dadurch nicht zu verraten, drückte er sich eine zur Faust geballte Hand auf den Mund. Dass er dabei sogar hineinbiss, spürte er in diesem Moment nicht. Nur still sein und nicht bewegen!, ratterte es ihm durch den Kopf. Obwohl der Spuk nur wenige Minuten dauerte, kam er ihm wie Stunden vor. Als wenn er das drohende Unheil damit würde abwenden können, kniff er die Augen fest zusammen. Offensichtlich schien diese Art der Angstbewältigung zu funktionieren. Denn es gelang ihm, alles, was um ihn herum geschah, weit von sich zu schieben.
Obwohl sich der Sohn des Kastellans in sich selbst gefangen fühlte und derart verkrampft war, dass er nicht nur nichts sah, sondern auch nichts mehr hörte, tat ihm dies gut. Aber es half ihm nicht wirklich weiter. Hätte er sich nur ruhig verhalten und gelauscht, anstatt sich mit aller Gewalt zu verkrampfen, hätte er schnell feststellen können, dass keinerlei Gefahr mehr drohte, weil das Gemurmel von Rudolph und Ignaz stammte. Hätte er jetzt, in diesem Augenblick, um Hilfe gerufen oder anders auf sich aufmerksam gemacht, wäre er sofort in Sicherheit und sein Leben gerettet gewesen. So aber vertat er unwissentlich die einzige Möglichkeit, ohne weitere Blessuren in den sicheren Schutz des Schlosses zurückzukommen.
Erst als die Kraft in seinen Augenlidern nachließ und er es nicht mehr vermochte, die Augen zusammenzukneifen, meldeten sich auch die anderen Sinnesorgane zurück. Lodewig hörte, wie die Schritte und das Gemurmel leiser wurden und verstummten. Als er sah, dass sich
Weitere Kostenlose Bücher