Der Peststurm
war es ganz ruhig geworden. Den Gepeinigten umgab nur noch die einsame Dunkelheit des schwindenden Tages.
Kapitel 51
Nun neigte sich schon der dritte Tag seit Lodewigs Verschwinden dem Ende zu. Längst hatte der Kastellan zur Kenntnis genommen, dass sich etliche junge Leute um Melchior Henne geschart hatten, um sich ebenfalls an der Suche zu beteiligen. Gleich beim ersten Zusammentreffen hatte ihm der gewiefte Leinweber über die Festsetzung von Vater und Sohn Vögel berichtet. Als der Kastellan die diesbezüglich vermuteten Hintergründe in Bezug auf Lodewigs Wams erfahren hatte, war ihm die Zornesröte ins Gesicht gestiegen. Hätte er das aufwändig vernähte Lederteil mitgenommen, als er zusammen mit Nepomuk und dem Blaufärber die tote Frau gefunden hatte, wäre gegen seinen durch und durch ehrbaren Sohn niemals ein solch unglaublicher Verdacht ausgesprochen worden.
Die Stimmung war gedrückt. Niemand hatte auch nur einen Anhaltspunkt, wo Lodewig sein könnte. Die Suchtrupps mühten sich den steilen Staufenberg hoch, waren auf dem Kapfberg und kamen dabei sogar über den hoch gelegenen Einödort Saneberg bis nach Genhofen. Sie waren in Weißach, suchten in den Wiesen und Wäldern rund um das Dorf und durchstöberten immer wieder jeden Winkel innerhalb des ehemals stolzen Marktfleckens. Nichts! Bis auf sein Lederwams keine Spur von Lodewig – er blieb verschwunden.
Ein aus drei Männern bestehender Trupp suchte sogar in den aus wenigen Häusern bestehenden Ortschaften Buflings und Zell, wo die Männer die Gelegenheit nutzten, um im dortigen Heiligtum für Lodewig zu beten. Da Zell etliche Meilen von Staufen entfernt lag, kamen die Staufner meist nur bei Prozessionen und Bittgängen hierher. Dennoch verehrten sie diese schmucke Kapelle als etwas ganz Besonderes. Immerhin war laut Propst Glatt, der in dieser Ortschaft aufgewachsen war, schon im neunten Jahrhundert auf dieses Kirchlein hingewiesen worden. Von den Klöstern St. Gallen und Chur sollten Iroschotten als erste Verkünder des christlichen Glaubens hierhergekommen sein und anfänglich eine bescheidene Hütte, die als ›Zelle‹ bezeichnet worden war, gebaut haben. Mit der Zeit war aus der Hütte eine kleinere Holzkapelle und später das gemauerte Kirchlein, in dem der Suchtrupp jetzt betete, geworden. Und aus der ehemaligen Zelle war die Ortschaft Zell geworden. Bis 1353 herum war Zell sogar die Mutterkirche von Staufen gewesen. 20 Jahre später war sie dann allerdings zur Filialkirche der inzwischen größeren und reicheren Pfarrei Staufen degradiert worden, was die mittlerweile dort angesiedelten Menschen maßlos ärgerte.
Für die seltene Schönheit, die insbesondere durch prachtvolle Wandmalereien und wertvolle Altäre des Meisters Johann Strigel geprägt war, hatten die Suchenden aber keinen Blick. Sie beteten noch schnell ein paar Gesetzlein zu den Heiligen Alban und Bartholomäus, bevor sie sich auf den Weg über Kalzhofen zurück nach Wengen machten. Aber ihre Gebete sollten nicht erhört werden.
Jedenfalls blieben auch sie bei ihrer Suche nach Lodewig erfolglos. Dennoch machten sie sich unverdrossen auch noch die Mühe und gingen den weiten Weg bis zur Straßensperre der Königsegger Soldaten, die immer noch darüber wachten, dass aus Staufen niemand hinauskonnte, um womöglich die Pest im gesamten rothenfelsischen Gebiet zu verbreiten. Die Wachsoldaten lachten nur, als sie gefragt wurden, ob sie einen jungen Mann gesehen hätten, der in Richtung Immenstadt wollte. Erst als ihnen gesagt wurde, dass es sich dabei um den Sohn des Staufner Schlossverwalters handelte, kam eine zwar ernstzunehmende, aber keineswegs zufriedenstellende Antwort.
»Irgendwo dort oben soll eine ›Bauernfliehburg‹ sein«, wusste einer der Männer, dessen Vorfahren aus der Thaler Pfarre stammten, und zeigte nach links zum Salmaser Höhenrücken hoch.
»Was soll das sein?«, mochte ein anderer wissen.
»Ich weiß nicht genau; es ist ein seit Generationen gehütetes Geheimnis! Ich glaube, es handelt sich um eine tiefe Schlucht, oder um eine riesige Höhle, in der sich die hiesigen Bauern mitsamt ihren Familien, ihren Nutztieren und ihrem anderen Hab und Gut immer verkriechen, wenn Gefahr droht … gerade in Kriegszeiten. Demnach müsste zurzeit jemand dort sein.«
»Ah! Ein ›Schatzloch‹ also«, lästerte einer der Männer.
Interessiert hätte es den Suchtrupp schon, nachzusehen … insbesondere, weil dort scheinbar auch Nutztiere, womöglich sogar
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