Der Peststurm
Schweine und Kühe, waren. Da sich dieser interessante Ort aber jenseits der Straßensperre und zudem ziemlich weit oben befand, mussten sie den Gedanken, dort oben nach Lodewig zu suchen und bei dieser Gelegenheit ein paar Viecher mit nach Hause zu bringen, aber schnell wieder aufgeben. Außerdem waren sie nur zu dritt und unbewaffnet.
»Wenn wir nicht dorthin kommen, kann Lodewig auch nicht dort sein«, resümierte der dritte im Bunde. »Lasst uns zurückgehen!«
Also überlegten die drei nicht mehr lange und nahmen sofort den Weg ins Dorf zurück über die andere Seite des Staufenberges, den vor Kurzem auch Schwester Bonifatia gewählt hatte, um dem ekelhaften Wengener Wirt wenigstens auf ihrem Rückweg nicht mehr begegnen zu müssen. Dabei warfen die Männer auch noch einen Blick in die sogenannte ›Bärenhöhle‹, einer kleinen Höhle auf der Südseite des Staufenberges. Auch hier weder ein Lebenszeichen von Lodewig noch das eines Bären, dem sie bei dieser Gelegenheit gerne das Fell abgezogen und das Fleisch mitgenommen hätten. »Na ja, ein ›Schatzloch‹, wie die Höhle auf der Salmaser Höhe scheint dies nicht gerade zu sein«, bedauerte derjenige, der den anderen von der ›Bauernfliehburg‹ erzählt hatte, im Hinblick auf die scheinbar dortigen Nutztiere, die in diesen Hungerzeiten soviel wert waren, wie alles Gold und Silber dieser Welt.
Da der Kastellan und Bruder Nepomuk in Weißach ebenso erfolglos gesucht hatten wie andere Suchtrupps im Ortskern von Staufen und um den Ort herum, gingen jetzt alle davon aus, dass sie Lodewig wohl nicht mehr finden würden.
Aber darüber wurde noch nicht laut gesprochen. Keiner traute sich auszusprechen, was er dachte. Sie alle verdrängten den Gedanken, Lodewig könne vielleicht schon tot sein. Obwohl sie nicht wussten, was ihm zugestoßen war, ahnten mittlerweile alle, dass etwas Schreckliches geschehen sein musste.
Obwohl sich beim täglichen Dorftratsch auch diese Varianten hartnäckig hielten, glaubte niemand ernsthaft daran, dass Lodewig seine geliebte Heimat freiwillig, sei es um des Freiheitsdranges, um eines anderen Mädchens wegen oder gar aus Furcht vor Bestrafung für eine schändliche Tat, verlassen hatte.
Außerdem wusste man, dass Lodewig Sarah liebte. Warum sonst hätte er sie zur Frau nehmen sollen? Oder geschah dies womöglich nur aus dem Grund, weil sie damals ein Kind von ihm erwartete? Selbst wenn, dann hatte sich Lodewig wahrhaft ritterlich gezeigt – immerhin hatte er eine ehemalige Jüdin geehelicht, noch bevor das Kind zur Welt gekommen war. Und so einer sollte eine Frau geschändet, ja sogar umgebracht haben? In diese quälenden Gedanken mischte sich beim Kastellan die Hoffnung der Unmöglichkeit, dass Lodewig aufgrund einer unsauberen Sache aus Staufen geflohen war, … obwohl der Grund dafür, bedeckt mit Lodewigs Wams, in einer dunklen Gasse gelegen haben könnte. Verdammter Mist! Diese Gedanken verdrängte der an die Redlichkeit seiner Söhne glaubende Vater. Niemals würde er diese schreckliche Vermutung, die er persönlich nicht als Verdacht wertete, mit seiner geliebten Frau teilen. Außerdem hatte er jetzt sowieso keine Zeit für Gedankenspiele, die nichts brachten.
Da er nun endlich wieder im Schloss war, wollte er das tun, was er schon lange hätte tun sollen: sich um Konstanzes Wohlergehen kümmern. Dabei würde er auch Sarah zu trösten versuchen und nebenbei auch ein wenig an sich selbst denken – an seinen Schmerz, schon wieder einen Sohn verloren zu haben. Er brauchte jetzt dringender denn je die Berührung mit jemandem, der seines Blutes war. Oder noch besser: mit jemandem, in dem Lodewigs Blut floss. Schließlich floss sein Blut in Lodewig, und Lodewigs Blut floss in dessen Sohn. So konnte er es kaum erwarten, den Kleinen auf dem Arm zu halten und ihn mit Zeigefinger und Mittelfinger sanft an einer Ader zu berühren, um das pulsierende Leben in ihm zu spüren – Lodewigs Leben. Noch nie hatte sich der im Grunde genommen feinfühlige Kastellan derart hilflos gefühlt. Aber er würde jetzt stark bleiben müssen und seinen eigenen Schmerz nicht in den Vordergrund schieben dürfen. Denn wie sollte er seiner Frau und seiner Schwiegertochter beistehen, wenn er selbst schwach war und Trost benötigte?
*
Da es genügte, wenn der Propst den Segen Gottes mit ein paar Spritzern aus dem Weihwasserkessel hier im Schloss ließ und der Kastellan mit seiner Familie allein sein wollte, schickte er den Priester fort.
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