Der Peststurm
stellten sich zum Spalier vor dem großen Tor auf. Lodewig rannte schnaufend die Treppen bis zum Giebelfenster des Hauptgebäudes hoch, um die gräfliche Rautenfahne herauszuhängen. Siegbert streifte schnell seine Rüstung über, schnappte sich die Hellebarde und brachte sich zusammen mit Rudolph beeindruckend in Position. Es war jetzt ganz still im Eingangsbereich des Schlosses. Man hörte nur das Klappern von Hufen, ein gelegentliches Schnauben von Pferden und das Gemurmel vieler Menschen.
Der Tross hatte sich bis auf wenige Fuß dem Schlosseingang genähert, als der Graf mit fester Stimme die Stille durchbrach: »Alle Achtung, mein lieber Wagrain! Obwohl Seine Leute nicht wussten, dass Wir kommen, hat Er Uns einen würdigen Empfang bereitet. – Respekt!«
Obwohl dies für den Kastellan nichts besonderes war, zeigte er sich nun doch stolz auf seine Mannschaft … und auf seine geliebte Frau.
»Gott sei Dank«, entfuhr es Konstanze leise in Richtung ihrer Söhne, »Papa ist dabei.« Am liebsten wäre sie ihm entgegengelaufen und um den Hals gefallen, aber sie bewahrte – ihrem hohen Stand gemäß – Contenance.
Da sahen es die meist derberen Untertanen des Grafen schon etwas lockerer: »Hoch lebe unser geliebter Landesherr«, rief einer der Staufner, die sich in beachtlicher Zahl dem Zug angeschlossen und ihn bis zum Schloss begleitet hatten, aus Sicherheitsgründen aber nicht in den Schlosshof durften. Um dies klarzustellen, bauten sich Rudolph und Siegbert unter dem Torbogen auf, spreizten ihre Beine und kreuzten die Hellebarden.
»Ja! Hoch leben Graf Hugo und seine Gemahlin Maria Renata«, erwiderten alle anderen Staufner, um ihrem Herrn zu huldigen.
*
Im Schlosshof deutete der Graf mit einer Handbewegung, sich aus der ehrerbietigen Verneigung zu erheben. Jetzt war es mit der Ruhe vorbei und alle taten, was ihnen zugedacht war: Ignaz und Fabio nahmen die Zügel der Pferde und führten die Tiere mit Hilfe der gräflichen Wachen in die Stallungen, während sich die erlauchten Herrschaften und Konstanze herzlich begrüßten. »Das also ist der junge Dreyling von Wagrain? Groß ist Er geworden«, lobte der Graf, während er Lodewig die Wange tätschelte. »Und er soll dereinst Unser Schloss verwalten?«, fragte er den Kastellan – »Respekt!«
›Respekt‹ war wohl eines der am meisten gebrauchten Wörter des Grafen, wenn er in Lobesstimmung war.
Hoffentlich reicht das, was ich im Haus habe aus, dachte die für Küche und Keller zuständige Frau des Schlossverwalters, während sie auf dem Weg ins Schlossinnere waren.
»Liebste Konstanze. Ihr müsst Uns sogleich berichten, was sich seit Unserer Abwesenheit in Staufen alles zugetragen hat«, eröffnete die Gräfin das Gespräch, während sie sich altvertraut bei ihr einhakte.
Derweil begrüßte Hugo Graf zu Königsegg-Rothenfels den Propst, der die Gruppe segnete, bevor er seiner Sorge über den langen Verbleib des Trosses Ausdruck verlieh: »Edler Herr! Was hat Euch so lange aufgehalten? Wir waren in großer Sorge um Euch. Wir wollten Euch in … «
»Wir wissen, werter Freund«, unterbrach ihn der Regent. »Als Dreyling von Wagrain zu Uns gestoßen ist, hat er Uns sogleich davon berichtet, dass Uns Unsere Staufner Untertanen bei der Durchreise in Genhofen zujubeln wollten. Eigentlich wollten Wir auf direktem Weg nach Immenstadt weiterziehen. Da Wir aber viel später in Konstanz weggekommen sind als geplant, ist es so spät geworden, dass Wir jetzt doch in Staufen eine nächtliche Rast einlegen.«
»Aber wo sind Eure restlichen Leute, Erlaucht. Ich zähle nur zwei Handvoll. Ist etwas geschehen?«
»Nein, nein! Wo denkt Er hin«, winkte der Graf ab. »Mit Hilfe Unserer Hofheiligen, der barmherzigen Gottesmutter Maria, sind Wir unbeschadet im Allgäu angekommen. Da Wir zwar viele Informationen über marodierende Landsknechthaufen und die Pest erhalten haben, aber dennoch nicht sicher gewusst haben, ob sie endgültig aus Unserem Herrschaftsgebiet gewichen ist, haben Wir Unsere Kinder momentan noch dem sicheren Schutz der Stadt Konstanz überlassen. Sollten Wir Uns davon überzeugen können, dass absolut keine Gefahr mehr droht, lassen Wir die jungen Herrschaften und den Rest des Hofstaates nachkommen. Außerdem haben Wir sie in die Obhut Unseres Bruders Berthold, der, wie Er weiß, Domscholaster und -schatzmeister ist und den Er persönlich kennt, gegeben. Dies dürfte Ihn, einen Diener Gottes, doch erfreuen? Und was die Wachen und Unsere
Weitere Kostenlose Bücher