Der Peststurm
Aushilfstotengräber packte an, wo man ihn brauchte, und gab allen das Gefühl, ein ehrlicher Kerl zu sein, obwohl er ein ortsbekannter Dieb gewesen war. Im Schloss jedenfalls war der Wuschelkopf mittlerweile wohlgelitten. Also ließ Lodewig sich dieses Mal nicht von Ignaz, sondern von Fabio beim Umräumen helfen. Der Knecht hatte sowieso genug damit zu tun, die Stallungen und den Schlosshof herzurichten. Außerdem war er dafür zuständig, Ratten und Mäuse zu jagen und – wenn möglich – abzumurksen.
»Etwas Gutes hat es ja«, lautete Konstanzes Kommentar, als sie davon erfuhr, dass nun doch keine Gäste kommen würden. Sie hatte sicherheitshalber mehr Lebensmittel besorgen wollen als sonst üblich, aber feststellen müssen, dass dies momentan mangels Angebot nicht möglich war.
Sicher, sie hätte beim letzten Markt den anderen Staufnerinnen alles vor der Nase wegschnappen können. Die Händler hätten sie allesamt bevorzugt behandelt; nicht nur, weil sie die Frau des Kastellans war und ihre Wünsche lautstark äußern konnte, sondern weil sie wohl die Einzige war, die über genügend Geld verfügte. Aber wie wäre sie dann dagestanden? Das bisher einigermaßen harmonische Miteinander wäre ins Bröckeln geraten. So war es ihr letzten Endes doch recht, dass der Besuch nicht kommen würde.
Dem Ortsvorsteher blieb nur noch, die Staufner vom aktuellen Stand der Dinge zu unterrichten. Dabei ließ er nicht verlauten, dass der Graf und die Gnädige ursprünglich nach Staufen kommen wollten, sondern teilte ihnen lediglich mit, dass sie mitsamt ihrem Gefolge an Staufen vorbeireisen würden. Somit kam wenigstens beim Volk keine Enttäuschung, sondern stattdessen große Freude und der Wunsch auf, sich zur Salzstraße nach Genhofen zu begeben, um dort dem Grafen und der Gnädigen zujubeln zu können. Schaden kann es wohl kaum, hatte sich der eine oder andere berechnend gesagt. Letztendlich sollten es ganze Heerscharen sein, die so dachten und dorthin pilgerten.
*
So versammelten sich um die Mittagszeit viele Staufner vor der Kapelle in Genhofen. Da sie nicht genau wussten, wann der Tross kommen würde, mussten sie sich allerdings in Geduld üben. Der Kastellan trat als Ortsvorsteher auf und nutzte die Zeit, um den Leuten ein paar Verhaltensregeln näherzubringen. Er zog zehn Fuß vom Straßenrand entfernt eine symbolische Linie und gebot ihnen, diese nicht zu übertreten.
»Ich verlass’ mich auf euch! Blamiert mich nicht und macht der Herrschaft Staufen alle Ehre«, beschwor er die freudig erregt durcheinanderredende Menschenmenge.
Da ihm immer noch der ruchlose Mordanschlag auf Freiherr Georg, den Vater des Grafen, im Gedächtnis saß, hatte er sicherheitshalber den waffen- und kampferfahrenen Siegbert mitgebracht. Die in jeder Hinsicht zuverlässige und gut bewaffnete Schlosswache patrouillierte ständig durch die Menschenmenge, um herauszufinden, ob sich darunter ein Mordbube befinden könnte, der die Gelegenheit nutzen wollte, einen Anschlag auf den Grafen zu verüben. Wäre dies der Fall, würde sie es mit aller Macht zu verhindern wissen.
Die Kapellenuhr schlug jetzt schon zum vierten Mal die volle Stunde, und Siegbert patrouillierte immer noch wachsam auf und ab. Dabei ließ er es sich nicht anmerken, dass er unter seinem Helm und dem schweren Lederkürass schwitzte wie ein Schwein.
Obwohl den meisten das lange Warten nicht unbedingt gefiel, verharrten sie ohne nennenswertes Gemaule. »Typisch Adel!« und andere abfällige Bemerkungen Einzelner konnten die Vorfreude auf das bevorstehende Ereignis nicht trüben. Lediglich der Kastellan war inzwischen nachdenklich geworden und ritt unruhig vor den wartenden Menschen diesen Teil der Salzstraße auf und ab. Seine Gedanken wurden zunehmend trüber. Er machte sich Sorgen, dass etwas Unerwartetes geschehen sein könnte.
»Wenn der Tross am Hahnschenkel überfallen worden wäre, hätten wir es von hier aus hören müssen«, versuchte ihn der Propst, der spürte, was in seinem Freund Ulrich vorging, zu beruhigen.
»Vielleicht haben ihnen aber schon vorher irgendwelche Raubritter die Kehlen durchgeschnitten?«, bekam er vom Kastellan, den jetzt nichts mehr hielt, zur Antwort. Er meldete sich beim Propst ab und gab seinem Pferd die Sporen. Um sich Gewissheit über das Wohlergehen des Grafen und seines Gefolges zu verschaffen, ritt er einmal mehr, jetzt aber noch unruhiger geworden, den Hahnschenkel hoch. Oben angekommen, hielt er eine Hand
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