Der Pfad der Winde - Sanderson, B: Pfad der Winde - The Way of Kings - The Stormlight Archive, Book 1 (Part 2)
Rücken herunter. Er hatte geglaubt, dass diese Vision zeitlich nach der vorhergegangenen einzuordnen sei, aber auch seine früheren Visionen waren nicht chronologisch geordnet gewesen. Diesmal hatte er noch keine Strahlenden Ritter gesehen, doch der Grund dafür war möglicherweise nicht der, dass sie sich schon aufgelöst hatten. Vielleicht existierten sie ja noch gar nicht. Und vielleicht gab es einen Grund dafür, dass die Worte dieses Mannes so vertraut klangen.
War es möglich? Stand er vielleicht neben demselben Mann, dessen Worten Dalinar immer und immer wieder gelauscht hatte? »Im Verlust liegt Ehre«, sagte Dalinar vorsichtig und benutzte damit Worte, die mehrfach im Der Weg der Könige wiederholt wurden.
»Nur wenn der Verlust Erkenntnis bringt.« Der Mann lächelte. »Du verwendest meine eigenen Worte gegen mich, Karm?«
Dalinar spürte, wie ihm der Atem ausging. Er war es selbst. Nohadon. Der große König. Es war vorhanden. Oder er war jedenfalls vorhanden gewesen. Dieser Mann war jünger, als Dalinar ihn sich vorgestellt hatte, aber das demütige und dennoch königliche Gebaren … ja, er hatte Recht.
»Ich denke daran, meinen Thron aufzugeben«, sagte Nohadon leise.
»Nein!« Dalinar machte einen Schritt auf ihn zu. »Das darfst du nicht tun.«
»Ich kann nicht über sie herrschen«, sagte der Mann. »Nicht, wenn meine Herrschaft solche Auswirkungen wie diese hier hat.«
»Nohadon.«
Der Mann drehte sich zu ihm um und runzelte die Stirn. »Was denn?«
Dalinar dachte nach. Hatte er sich etwa doch geirrt? Nein. Der Name Nohadon war eher ein Titel. Viele berühmte Menschen in der Geschichte hatten heilige Namen von der Kirche erhalten, bevor sie aufgelöst wurde. Auch Bajerden war vermutlich nicht sein richtiger Name; der war mit der Zeit verloren gegangen.
»Nichts«, sagte Dalinar. »Du kannst nicht abdanken. Das Volk braucht einen Führer.«
»Es hat Anführer«, sagte Nohadon. »Es gibt Prinzen, Könige, Seelengießer und Wogenbinder. Uns mangelt es nie an Männern und Frauen, die herrschen wollen.«
»Das stimmt«, gab Dalinar zu, »aber es mangelt uns an denen, die geschickt darin sind.«
Nohadon lehnte sich über die Brüstung. Er blickte auf die Gefallenen hinunter, und auf seinem Gesicht zeichneten sich tiefe Trauer und Sorge ab. Es war äußerst seltsam, den Mann so zu sehen. Er war so jung. Dalinar hätte niemals eine solche Unsicherheit und Qual in ihm vermutet.
»Ich kenne dieses Gefühl«, sagte Dalinar leise. »Die Ungewissheit, die Scham und die Verwirrung.«
»Du kannst mich allzu gut lesen, alter Freund.«
»Ich kenne diese Gefühle, weil ich sie selbst verspürt habe. Ich … ich hätte nie angenommen, dass sie auch dir nicht fremd sind.«
»Dann muss ich mich berichtigen. Vielleicht kennst du mich doch nicht so gut.«
Dalinar schwieg.
»Was soll ich tun?«, wollte Nohadon wissen.
»Das fragst du mich ?«
»Du bist doch mein Ratgeber, oder etwa nicht? Ich glaube nämlich, jetzt brauche ich einen Rat.«
»Ich … du darfst den Thron nicht verlassen.«
»Und was soll ich mit ihm bewirken?« Nohadon drehte sich um und ging den langen Balkon entlang, der sich um das gesamte Stockwerk zu ziehen schien. Dalinar begleitete ihn und kam dabei an Stellen vorbei, wo der Stein geborsten und das Geländer ausgerissen war.
»Ich habe kein Vertrauen in die Menschheit mehr, alter Freund«, sagte Nohadon. »Führe zwei Männer zusammen, und sie werden einen Grund finden, sich zu streiten. Führe sie in Gruppen zusammen, und die eine Gruppe wird einen Grund finden, die andere zu unterdrücken oder anzugreifen. Und jetzt das hier. Wie soll ich sie denn nur beschützen? Wie soll ich verhindern, dass so etwas noch einmal passiert?«
»Diktiere ein Buch«, sagte Dalinar eifrig. »Ein großes Buch, das den Menschen Hoffnung gibt und in dem du deine Philosophie über die Herrschaft und die richtige Art der Lebensführung darlegst!«
»Ein Buch? Ich? Ich soll ein Buch schreiben?« »Warum nicht?«
»Weil das eine so grandios dämliche Idee ist.«
Dalinars Kiefer klappte herunter.
»Die Welt, wie wir sie kennen, ist beinahe vollständig zerstört worden«, sagte Nohadon. »Es gibt kaum eine Familie, die nicht mindestens die Hälfte ihrer Mitglieder verloren hat! Unsere besten Männer liegen als Leichen auf diesem Feld, und unsere Nahrungsvorräte reichen nur noch für zwei oder höchstens drei Monate. Und ich soll meine Zeit damit
verbringen, ein Buch zu schreiben? Wer sollte es
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