Der Pfad des Kriegers (German Edition)
zu schwach um ihre Waffen überhaupt richtig zu halten, geschweige denn in der Schlacht zu führen. Männer und Frauen, die außer einem angespitzten Stock keine Waffe hatten und meist überhaupt keine Rüstung trugen. Oder deren Rüstung aus zwei Holzbrettern bestand, auf Bauch und Rücken mit einem einfachen Strick befestigt. Aber Thomas sah auch etwas anders. Eine grimmige Entschlossenheit in den Gesichtern der Menschen, selbst wenn sie noch halbe Kinder waren. Diese Armee, da war er sich sicher, würde nicht davonlaufen. Jeder wusste, dass es am heutigen Tag um alles ging. Entweder sie siegten hier oder sie würden alle sterben. Entweder auf dem Schlachtfeld oder ein paar Wochen später in irgendeinem Waldstück an Hunger und Kälte. Vermutlich würde es nicht einmal Wochen dafür brauchen. Schon jetzt spürte Thomas seine Füße kaum noch und er sehnte sich nur nach einem wärmenden Feuer und auch nach der Schlacht. Es war kein freudiges Erwarten, nicht so, wie wenn er sich früher die ganze Nacht auf das große Dorffest zur Sonnenwende gefreut hatte, sondern eher Ungeduld. Er wollte es hinter sich bringen, wissen, wie es ausgeht, einfach Gewissheit haben.
„Gehst du, Barrett oder bleibst du?“
„Ich bleibe.“
Barretts Stimme klang kräftig und voller Entschlossenheit.
„Warum?“
Der Söldner schwieg. Ohne ein Wort zu sagen, gingen sie die nächsten Dutzend Schritte. Thomas hatte die Hoffnung auf Antwort schon aufgegeben, als Barrett dann doch anfing zu antworten:
„Ich weiß es nicht, Thomas. Vielleicht bin ich einfach nur Realist genug, um zu wissen, dass ich ohne die anderen nie lebend nach Hause komme. Oder ich hänge zu sehr an den ganzen Idioten. Oder zu wenig an meinem Leben.“
Ein grimmiges Lächeln war bei diesen Worten auf Barretts Gesicht getreten.
„Im Grunde habe ich auch gerade nicht viel anderes zu tun. Weißt du Thomas, die meisten Söldner werden dir erzählen, dass sie keine andere Chance hatten im Leben, werden dir vorheulen, wie schwer es für sie war und das sie nie was anderes gelernt haben als zu töten. Für den einen oder anderen mag das zutreffen, aber auf die meisten nicht. Auf mich auf jeden Fall nicht. Ich hatte genug Chancen im Leben aufzuhören und die Götter wissen, dass ich es oft genug probiert habe. Aber das hier ist mein Leben. Die Aufregung, die in der Luft liegt in den Stunden vor der Schlacht, die Entschlossenheit in den Gesichtern der Männer um mich, die seltsame Mischung aus Angst und Vorfreude in den letzten Minuten, bevor es beginnt. Mein Herz, dessen Schlagen alle anderen Geräusche auslöscht. Das Wissen, dass mein Leben jede Sekunde vorbei sein kann. Diese Momente sind die einzigen, in denen ich mich noch wirklich am Leben fühle.“
Thomas schaute ihn stumm an und Barrett fing leise an zu lachen.
„Dann gibt es natürlich noch die ganzen wahren Gründe. Dass ich es hasse, wenn mir jemand vorschreibt, was ich zu tun habe. Dass ich es nie wirklich geschafft habe, früh aufzustehen und dass mir harte Arbeit wirklich nicht liegt. Versteh' mich nicht falsch, auch das Dasein als Söldner ist harte Arbeit. Aber sie ist anders, ganz anders, als morgens um vier Uhr aufzustehen und mit dem Brotbacken zu beginnen, sowie es mein Vater sein Leben lang gemacht hat und vielleicht immer noch macht. Als Söldner marschiert man für einen Hungerlohn, den man sowieso in der nächsten Stadt für Bier und Frauen ausgibt, durch Schlamm und Kälte und jeder Söldner lügt, der nicht zugibt, dass er ab und an den Bäcker oder Müller beneidet, der mit seiner Frau und seinem Dutzend Kindern daheim in der warmen Stube sitzt. Aber du bist auch umgeben von Männern, denen du vertraust, die hundert Mal für dich ihr Leben riskiert haben und du für sie, mit denen du gezecht hast und dich geprügelt und jede Minute deines Lebens verbracht hast. So etwas gibt es nirgendwo anders. Vielleicht bin ich deshalb noch hier. Weil ich das hier wieder gefunden habe, weil ich weiß, dass Ulf oder du oder sogar Arvid nicht zögern würden, mir in der Schlacht zur Hilfe zu kommen. Söldner sein bedeutet an der äußersten Grenze menschlichen Daseins zu leben, Arvid! Ich werde nie wissen, wie es ist als alter Mann am Feuer zu sitzen, von Kindern und Enkeln umgeben zu sein und Geschichten von früher zu erzählen. Genauso wie der Müller nie wissen wird, wie es ist, sich wirklich lebendig zu fühlen.“
Thomas hatte nur stumm zugehört und auch jetzt fiel ihm keine wirkliche Antwort ein
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