Der Pfad des Kriegers (German Edition)
Angst?“
Schweigen war die einzige Antwort auf Balins Frage. Niemand wollte hier sein. Außer Sälvor natürlich. Die fühlte sich hier vermutlich richtig wohl. Balin griff nach seinem Schwert und legte den Gürtel um.
Sie hätten nach Norden ziehen sollen, so wie Karl und er es vorgeschlagen hatten. Dann würden Karl und seine Krieger jetzt auch noch leben, anstatt irgendwo am Rand des Waldes zu verrotten. Bui hatte sie gefunden. Zweiundzwanzig Leichen, nackt, in einer kleinen Lichtung. Selbst er hatte sich bei diesem Anblick nur mit Mühe unter Kontrolle halten können. Sie waren offensichtlich in einen Hinterhalt geraten, die meisten hatten mehr als ein halbes Dutzend Pfeilwunden, nur wenige schienen sich gewehrt zu haben. Von zehn Kriegern fehlte jede Spur.
Mit der rechten Hand schob er den Pelzvorhang, der als Tür der Hütte diente, zur Seite und trat nach draußen. Die Sonne schien ihm direkt ins Gesicht. Was hieß, dass es eher Mittag als Morgen war.
Bui, der gerade dabei war, das kleine Feuer wieder in Gang zu bringen, schaute zu ihm herüber:
„Ich dachte ich lass' dich schlafen, gibt ja eh im Moment nicht so viel zu entscheiden.“
Balin nickte. Bui hatte Recht, trotzdem passte es ihm nicht, dass er so lang geschlafen hatte. Nun ja, immerhin war er nicht allein gewesen, Raef hatte es ja bis jetzt nicht aus der Hütte heraus geschafft. Aber Raef war auch gut zehn Jahre älter als er. Der älteste Krieger der Gruppe. Außer Arvan natürlich, der auf dem kleinen Wall Wache stand. Niemand wusste, wie alt der war.
„Auf jeden Fall nicht so alt wie diese verfluchten Bäume!“, dachte Balin sich missmutig, während er sich weiter umschaute. Fünf Hütten, siebzehn Krieger, Männer und Frauen, zwischen fünfzehn und wie alt auch immer Arvan war. Seine Krieger. Ein gewisser Stolz erfüllte ihn, als er seinen Blick über sie und den kleinen Wall schweifen ließ, den sie in den letzten Tagen aufgeschüttet hatten. Fast fühlte er sich wieder so wie früher, als er noch auf dem Deck eines Langschiffes gestanden war, das Knarzen der Deckplanken und das Geräusch von sechzig Riemen im Ohr, die gleichzeitig ins Wasser tauchten. Oh, wie er den Seewind in seinem Gesicht vermisste. Viel würde er dafür geben noch ein letztes Mal ein Langschiff in die Schlacht führen zu dürfen, noch einmal Jäger statt Gejagter zu sein.
Nun, man konnte nicht alles haben im Leben und immerhin war er noch am Leben und wollte es auch bleiben. Auch wenn es nun wahrlich kein gutes Leben mehr war.
Selbst er, den seine Frau immer für seine Leibesfülle gescholten hatte, war bedrohlich abgemagert, die meisten Männer und Frauen hier nur noch Schatten ihrer selbst. Einige waren bereits nach einer Stunde Arbeit am Wall zu erschöpft gewesen, um weiter zu machen. Aber Balin hatte, trotz einigen Murrens, auf dem Wall bestanden. Fast zwei Meter hoch, bot er ausreichenden Schutz vor Pfeilen und würde für jeden Angreifer ein ernstzunehmendes Hindernis darstellen und ihn hoffentlich lang genug aufhalten, um es Sälvor zu ermöglichen, ihnen zur Hilfe zu kommen.
Seit einiger Zeit waren die Taisin selten in Gruppen von weniger als hundert Mann unterwegs, häufig mehr, was nicht nur Hinterhalte fast unmöglich machte, sondern auch jeden Kampf gegen sie nahezu aussichtslos.
Wie Karls Schicksal eindrucksvoll bewiesen hatte. Es waren aber nicht nur die Taisin, die er fürchtete. Seltsame Wesen lebten in diesem Wald. Seit Generationen hatte ihn kein Maegrin mehr betreten. Dunkel und feucht, mit dichtem Unterholz, bot er vielleicht Schutz vor den Taisin, wohl fühlte sich Balin deswegen in ihm noch lange nicht. Selbst die Lichtung auf der sie ihr Lager errichtet hatten, war nicht wirklich hell.
„Essen bald fertig, Bui?“
„Sobald das Feuer brennt, steht dem Festmahl nichts mehr im Wege, Chef!“
Balin musste grinsen. Seinen Sinn für Humor hatte Bui noch nicht verloren, auch wenn sonst nicht mehr viel an dem Mann, den er vor sich sah, an seinen alten Kampfgefährten erinnerte. Der einst breitschultrige Krieger, der bei der Belagerung von Huadan mit Leichtigkeit ganze Felsbrocken auf die Angreifer geworfen hatte, wirkte jetzt so schwach wie ein junger Welpe. Immer wieder hatte sich die Wunde an seinem Bein entzündet, doch bis heute weigerte sich Bui, sich das Bein abnehmen zu lassen. Womit er vermutlich gar nicht so Unrecht hatte, denn in seinem schlechten Zustand würde er die Amputation wohl kaum überleben. Die Wunde tötete ihn
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