Der Pfad des Kriegers (German Edition)
für sie unersetzlich geworden in den letzten Wochen. Ohne ihn wäre sie längst zusammengebrochen. All die hungernden Menschen, die zu ihr aufblickten, die von ihr wissen wollten, wie es weiter ging, es war einfach alles zuviel für sie. Wie oft hatte sie sich gewünscht, dass sie Balin Anführer hätte werden lassen, dass ihr Mann noch lebte, dass die Taisin nie gekommen wären.
In Jorven hatte sie eine schier unerschöpfliche Quelle für Trost und neue Kraft gefunden. Anfangs hatte sie sich noch schlecht gefühlt, wenn sie zu ihm ging, aber ihr Mann war tot und er hätte nicht gewollt, dass sie unglücklich ist. So waren die gemeinsamen Nächte ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens geworden.
„Ruhe! Ruhe!“
Ihre kraftvolle Stimme war bis in den letzten Winkel der Lichtung hörbar.
„Wir sind hier zusammengekommen, um zu bera …!“
„Wir müssen aus diesem Wald hinaus, bevor wir alle sterben!“
Ein junger Krieger mit bleichem Gesicht hatte diese Worte mit schriller Stimme von sich gegeben. Die meisten Männer und Frauen im Kreis schüttelten den Kopf, doch Sälvor konnte auch einige erkennen, die nickten. Das fing ja gut an.
„Ruhe! Die Taisin …!“
„Die sind gerade unser geringstes Problem!“
Sie fuhr herum und blickte in das Gesicht eines graubärtigen Kriegers, der sie grimmig anstarrte:
„Wenn wir nach draußen gehen, dann werden wir sterben!“, erwiderte Sälvor.
„Als ob wie hier noch wirklich am Leben wären. Schau dich doch um!“
Sie musste sich nicht umschauen, um zu wissen, dass er Recht hatte. Kränklich aussehende Kinder, Kriegerinnen und Krieger, die kaum noch in der Lage waren ihre Waffen zu tragen, geschweige denn zu kämpfen, dazu fast zwei Dutzend ihres Volkes, die nur noch mit Hilfe laufen konnten, so schwach waren sie inzwischen.
„Wir sollten uns den Taisin stellen. Es ist immer noch besser ehrenhaft im Kampf zu fallen, als hier den Hungertod zu sterben. Oder schlimmeres!“
Sie wusste, was er meinte. Sie alle wussten, was er meinte. War der Rand des Waldes schon unheimlich genug gewesen, hier, so tief in seinem Inneren traute selbst sie sich nicht mehr als fünf Meter vom Lager weg, ohne sich von einigen Kriegern begleiten zu lassen. Dauernd hatte sie das Gefühl beobachtet zu werden.
„Bisher ist noch niemandem etwas passiert!“, entgegnete sie dem jungen Krieger, der gerade gesprochen hatte und versuchte ihre Stimme so fest wie möglich klingen zu lassen.
„Und was ist mit Sven, mit Eina, mit …?“
Sälvor unterbrach ihn:
„Niemand weiß, was mit ihnen ist. Keiner von uns hat irgendetwas Außergewöhnliches bemerkt. Vielleicht sind sie Taisin in die Hände gefallen, vielleicht ...“
„Taisin? So tief im Wald? Die haben mehr Verstand als wir.“
Der gerade eben noch so bleiche Krieger hatte seinen Mut wieder gefunden und forderte ihre Autorität jetzt mit fester Stimme heraus. Das alles lief nicht gut. Was wohl auch daran lag, dass sie selbst nicht genau wusste, wie es laufen sollte. Schließlich wollte sie selbst am liebsten den Wald sofort verlassen. Er war so dunkel, so anders als die Wälder, die sie kannte. Dauernd hörte man von irgendwo seltsame Vögel, falls es Vögel waren und bekam sie nie zu Gesicht. Oder ging nur einige Meter vom Lager weg und brauchte Stunden, um wieder zurück zu finden. Aber draußen wartete der sichere Tod. Hier hingegen waren sie doch auf gewisse Weise in Sicherheit. Die Taisin würden nicht hierher kommen und sie selbst hatten in den letzten Tagen feste Hütten errichtet, um sich vor der Kälte zu schützen und hatten immer noch Nahrung für einige Tage.
„Wir sollten hier ausharren, bis wir keine andere Wahl mehr haben, bis unsere Vorräte erschöpft sind!“
Hatte sie das gerade wirklich gesagt? Selbst in ihren Ohren klang dieser Satz hilflos und schwach. Die Reaktion war dementsprechend. Männer und Frauen schauten zu Boden, einige husteten verlegen, dabei war es nur vernünftig. Hätte sie eine flammende Rede gehalten, in der sie alle aufforderte in den Heldentod zu gehen, wären jetzt wohl Jubelschreie zu hören gewesen. Die meisten hier waren schließlich freiwillig auf dieser Seite des Meeres gewesen, um Rache zu nehmen. Aber Menschen sinnlos in den Tod zu führen, war noch nie ihre Art gewesen. Auch wenn sie genau das machen würde, nur halt erst in einigen Tagen.
„In einigen Tagen wird hier niemand mehr kämpfen können. Unsere Vorräte sind erschöpft. Wir haben doch alle seit Wochen nicht mehr
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