Der Pfahl - Laymon, R: Pfahl - Stake
zurückgekommen war, und er schien begeistert davon gewesen zu sein, mit ihnen zu fahren. »Ich könnte sie zur Schule bringen und dann wieder nach Hause kommen.«
»Nein, wenn du dich nicht gut genug fühlst, zur Schule zu gehen … Ich könnte sie abholen. Ausnahmsweise, weil sie ja auf dich warten.«
»Das wäre toll.«
»Sie kommen doch auch anders wieder nach Hause, oder?«
»Ja, klar. Die finden schon eine Lösung. Aber da ist auch noch ein anderer Junge, er heißt George. Wir haben uns bei dem Theaterstück näher kennengelernt. Ich wollte ihn heute auch mitnehmen.«
Ihre Mutter nickte. »Gut, gib mir einfach ihre Adressen, und ich kümmere mich darum.«
»Das ist super. Vielen Dank, Mom.«
»Soll ich dir was zu essen machen, ehe ich fahre?«
»Ich habe im Moment keinen Appetit. Wenn ich Hunger habe, meld ich mich, okay?«
»Gut, wie du meinst. Aber es geht dir bestimmt besser, wenn du was im Magen hast.«
Lane goss sich eine Tasse Kaffee ein und ging ins Wohnzimmer. Ihr Vater saß in seinem Sessel. Er trug den Jogginganzug, den er immer nach dem Aufstehen anzog, und hielt in einer Hand eine Kaffeetasse und in der anderen ein Buch.
»Morgen, Schätzchen«, sagte er. »Wie geht’s?«
»Nicht so besonders. Ich bleibe zu Hause, weil ich krank bin. Mom hat nichts dagegen.«
»Ein Grippe im Anflug?«
»So etwas in der Art, glaube ich. Jedenfalls bin ich ziemlich kaputt. Ich gehe bald wieder ins Bett.« Sie trank einen Schluck Kaffee. »Bist du schon sehr aufgeregt wegen heute Nacht?«
Er rümpfte die Nase. »Ich weiß nicht, ob ich aufgeregt bin oder einfach Angst habe.«
»Wenn es dich beunruhigt, wieso lässt du es dann nicht sein?«
»Das ist nicht so einfach«, sagte er. »Was soll ich mit dem Ende meines Buchs machen?«
»Das könnte der Schluss sein. Du triffst eine Art moralische Entscheidung, dich nicht mit dem Ding einzulassen. Schlafende Hunde soll man nicht wecken. Das könnte der Tenor des Buchs sein.«
Er nickte und lachte leise. »Keine schlechte Idee. Meinst du , wir sollten den Pfahl nicht herausziehen?«
»Vor allem hätte ich nicht die Leiche mit nach Hause gebracht.«
»Ich wünschte, wir hätten es nicht getan.« Er zuckte mit den Schultern. »Aber jetzt, wo sie hier ist …«
»Ich weiß nicht, Dad. Du hast mich immer davor gewarnt, mit so seltsamen Dingen wie Hexenbrettern und Wahrsagerei herumzuspielen …«
»Ja.«
»Erinnerst du dich, als ich in New Orleans die Voodoopuppe gekauft habe?«
»Ja, weiß ich noch.«
»›Du solltest nicht mit dem Übersinnlichen herumalbern‹, hast du mir immer gesagt. Und jetzt willst du einen Pfahl aus einer Leiche ziehen, um zu sehen, ob sie ein Vampir ist?«
»Daraus kann nichts Gutes entstehen«, sagte er theatralisch, und es klang wie die mahnende Stimme aus einem alten Film über einen verrückten Wissenschaftler.
»Warum solltest du es dann tun?«
Er lächelte sie an. »Einfach weil die Gelegenheit da ist?«
»Fällt dir kein besserer Grund ein?«
»So richtig krank klingst du nicht.«
»Vielleicht solltest du es einfach vergessen. Das ist mein Ernst. Entscheide dich dafür, den Pfahl nicht rauszuziehen, und du wirst sehen, wie viel besser du dich plötzlich fühlst.«
»Würde es dir damit bessergehen?«
»Vielleicht. Mir ist das nicht so wichtig. Ich kann immer noch in meinem Zimmer bleiben, wenn du es tust. Du musst da draußen sein. Es ist nicht meine Sache, sondern deine. Ich habe meine eigenen Probleme.«
»Was für …?«
»Ich will nur sagen«, fuhr sie schnell fort, »du solltest dich nicht von Pete oder jemand anderem zu etwas drängen lassen, dass du gar nicht willst. Schließlich musst du hinterher damit leben.«
»Glaubst du, es ist moralisch betrachtet falsch, den Pfahl rauszuziehen?«
»Wenn sie ein Vampir ist.«
»Wir wissen natürlich, dass sie keiner ist.«
»Es gibt mehr Ding’ im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumt, Horatio.«
»Hey, das war gut!«
Sie lächelte. »Ich gehe jetzt wieder ins Bett.«
»Gute Nacht, meine Prinzessin! Und Engelscharen singen dich zur Ruh!«, zitierte er ebenfalls Shakespeare.
»Danke, aber ich sterbe nicht. Ich mache nur ein Nickerchen. Hoffentlich.«
Sie schrieb die Adressen ihrer Freunde auf, gab sie ihrer Mutter in der Küche und dankte ihr noch einmal. Dann ging sie wieder in ihr Zimmer.
Im Bett machte sie es sich auf ihren Kissen bequem und versuchte zu lesen. Doch während die Augen über die Buchstaben glitten, quälte sie sich
Weitere Kostenlose Bücher