Der Pfahl - Laymon, R: Pfahl - Stake
dass er die letzte Stunde im Dunkeln geschrieben hatte, halbnackt und frierend.
Er las den letzten Satz.
»Eine seltsame Mischung aus Traurigkeit und Erwartung durchströmte mich, als ich zusah, wie das Auto um die Ecke bog und meine Frau und meine Tochter für das Wochenende wegfuhren.«
»Großer Gott«, murmelte er.
Er scrollte nach oben zum Beginn des Kapitels. Es trug die Überschrift Kapitel sechs. Keine Seitennummer. Wie viele Seiten hatte er heute geschrieben? Siebzig? Achtzig?
Normalerweise schaffte er sieben bis zehn Seiten.
Ein einziges Mal hatte er dreißig Seiten an einem Tag geschrieben. Dabei hatte es sich um einen miserablen Liebesroman gehandelt, vor ein paar Jahren, als das Geld knapp gewesen war und sein Agent ihm den Auftrag für zwei dieser Machwerke besorgt hatte, für lächerliche tausend Dollar das Stück.
Er hatte seinen Rekord mehr als verdoppelt.
Und ich habe noch nicht aufgehört, dachte er.
Unglaublich.
Er schlang die Arme um den Oberkörper, um sich zu wärmen, und schüttelte den Kopf.
Gut, dachte er, das ist eine wahre Geschichte. Ich berichte mehr oder weniger nur, was geschehen ist.
Es war trotzdem erstaunlich.
Wenn er zu Pete und Barbara gegangen wäre … Ihm kam der Gedanke, dass er anrufen und ihnen Bescheid sagen sollte. Er ging durch das Haus und schaltete einige Lampen ein. Im Schlafzimmer tauschte er seine Shorts wieder gegen den Trainingsanzug und zog sich Socken an. Seine Haut kribbelte und juckte, als würde sie gegen die warme Kleidung rebellieren. Larry kratzte sich durch den weichen Stoff, während er in die Küche ging.
An einer Pinnwand hing eine Karte, auf die Jean Notrufnummern und die Telefonnummern von Handwerkern und Freunden geschrieben hatte. Larry fand die Nummer von Pete und Barbara.
Soll ich sie wirklich anrufen?, fragte er sich. Es war eine unverbindliche Einladung gewesen, eigentlich musste er seine Abwesenheit nicht entschuldigen. Keine große Sache, dass er nicht aufgetaucht war.
Wenn ich anrufe, fragen sie mich bestimmt, ob ich noch komme.
Und ich werde wahrscheinlich zusagen. Das war es dann für heute mit dem Schreiben.
Mein Gott, ich habe genug geschrieben für einen Tag. Genug für eine ganze Woche.
Aber wenn ich dranbleibe, kann ich alles aufschreiben, was bis jetzt geschehen ist. Dann bin ich damit durch. Es gibt nichts mehr zu erzählen, wenn ich erst mal den Punkt erreicht habe, an dem wir den Sarg in der Garage versteckt haben. Morgen könnte ich dann die Korrekturen an Irrenhaus fertig machen, am Montag das Manuskript abschicken und den Rest der Woche damit verbringen, Fremder in der Nacht zu beenden. Danach könnte ich mit Die Truhe anfangen.
Aber nur, wenn ich heute Abend nicht zu Pete und Barbara gehe.
Er fragte sich, ob Barbara wieder ihr Nachthemd trug. Aber dann stellte er fest, dass es ihn eigentlich nicht besonders interessierte.
Larry ging zum Kühlschrank und öffnete das Gefrierfach. Seine Augen wanderten über den Inhalt. Eine Menge Auswahl. Die Lasagne wäre einfach. Er müsste sie nur für ein paar Minuten in die Mikrowelle werfen.
Zu viel Aufwand.
Er schloss das Gefrierfach und sah nach, was er im Kühlschrank hatte. Da war noch ein Päckchen Würstchen. Er riss es auf, zog ein Frankfurter heraus und schob es sich in den Mund. Während er die Packung zurück in den Kühlschrank legte, klemmte das Würstchen zwischen seinen Lippen wie eine rosafarbene Zigarre. Er nahm sich eine Flasche Bier, drehte sie auf und ging zurück in sein Arbeitszimmer.
Er schrieb. Eine Weile lenkten ihn das Würstchen und das Bier ab, doch als er damit fertig war, versank er wieder in der Geschichte. Er war drüben bei Pete und Barbara, erst auf ihrer Terrasse, dann im Haus. Und er beschrieb alles so, wie es geschehen war. Fast. Unwillkürlich vermied er es, Barbaras Erscheinungsbild und seine Reaktionen darauf zu schildern. Dann saß er neben Pete im Lieferwagen. Dann befand er sich in der Schlucht hinter Holman’s.
Als er schrieb: »Ich muss mal pinkeln«, stellte er fest, dass er tatsächlich zur Toilette musste. Er ging ins Bad. Während er urinierte, dachte er darüber nach, was in der Geschichte als Nächstes passieren würde.
Sie würden die Feuerstelle des Coyotenfressers entdecken.
Ein kalter Schauer lief über seinen Rücken.
Er betätigte die Spülung, ging in sein Büro und starrte durch die Tür auf seinen Besucherstuhl.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich heute Nacht darüber schreiben will, dachte er. Über den
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