Der Pfeil der Rache
sich.
»Sir, da ist ein junger Mann, der Euch sprechen will. Er kam bereits vor zwei Tagen und fragte nach Euch. Er sagt, er kenne Euch aus einem Ort namens Hoyland. Obwohl er –«
Ich richtete mich kerzengerade auf. »Führe ihn herein«, sagte ich, wobei ich Mühe hatte, die Aufregung und Erleichterung aus meiner Stimme herauszuhalten. »Sofort.«
Ich saß mit klopfendem Herzen am Schreibtisch. Doch es war nicht Emma, die Skelly hereinbugsierte, es war Sam Feaveryear. Er stand vor mir und wischte sich mit der vertrauten Geste eine fettige Haarsträhne aus der Stirn. Ich bezwang meine Enttäuschung.
»Nun, Feaveryear«, sagte ich mit schwerer Stimme. »Bringt Ihr mir Nachricht von Eurem Herrn?«
Nach einigem Zögern sagte er: »Nein, Sir. Ich habe beschlossen – ich will nicht länger für Master Dyrick arbeiten.«
Ich hob die Augenbrauen. Da sprudelte Feaveryear die Worte hervor: »Ich habe falsch gehandelt, Sir. Ich habe in Hoyland etwas entdeckt. Ich ließ zu, dass Master Dyrick mich fortschickte, dabei hätte ich es Euch sagen müssen. Es belastet seither mein Gewissen. Hugh ist in Wahrheit –«
»Ich weiß schon. Emma Curteys.«
Feaveryear holte tief Luft. »Als ich Hugh traf, da gab es etwas – etwas, das mich zu ihm hinzog.« Er rang nervös die Hände. »Ich – ich glaubte, der Teufel wolle mich zu einer Todsünde verleiten. Also betete ich zu Gott, Er möge mir sagen, was zu tun sei, aber ich konnte meine Gefühle nicht verhehlen. Hugh mochte es nicht, dass ich ihn ansah, aber ich konnte nicht anders. Und eines Tages ging mir ein Licht auf –«
»Und Ihr habt es Dyrick erzählt.«
»Ich dachte, er werde dem – Mädchen helfen. Doch er sagte nur, die Angelegenheit sei das Geheimnis seines Mandanten und müsse gewahrt werden, und dann schickte er mich fort. Ich sinnierte, betete und kam zu dem Schluss, Sir, dass es nicht rechtens sein kann, was ihr widerfahren ist.«
Ich erwiderte in scharfem Ton: »Die Familie ließ sie all die Jahre die Rolle ihres toten Bruders spielen, aus Gewinnsucht. Jetzt ist sie fortgelaufen, und niemand weiß, wo sie ist.«
»O Sir.« Er schluckte schwer. »Darf ich mich setzen?«
Ich wies ihm einen Schemel. Er sank darauf nieder, ein Häufchen Elend.
»Wisst Ihr auch«, fragte ich, »was Abigail Hobbey widerfahren ist?«
»O ja«, antwortete er kleinlaut. »Master Dyrick hat es mir in einem Brief mitgeteilt. Er sagte, jener Ettis habe sie ermordet und sei bereits ergriffen worden.«
»Er ist wieder frei. Er ist unschuldig.« Ich beugte mich vor und sagte zornig: »Warum habt Ihr niemandem erzählt, wer Hugh wirklich war?«
»Ich war doch meinem Herrn verpflichtet. Aber ich habe nachgedacht und gebetet, und als Master Dyrick schrieb, dass er morgen wieder nach London käme, da wurde mir klar –« Feaveryear sah mich flehend an. »Er ist kein guter Mensch, nicht wahr?«
Ich zuckte die Schultern.
»Ich – ich frage mich, Sir, ob ich vielleicht für Euch arbeiten dürfte. Ihr habt als Anwalt einen guten Ruf, Sir, seid ein Fürsprecher der Armen.«
Ich blickte in Feaveryears unglückliches Gesicht und fragte mich, ob tatsächlich sein Gewissen ihn zu diesem Schritt veranlasste oder ob nicht eher der Wunsch, sich eine neue Stellung zu sichern, den Ausschlag gab. Ich wusste es nicht zu sagen.
»Feaveryear«, sagte ich in ruhigem Ton, »ich habe keine Verwendung für einen weiteren Schreiber. Hört meinen Rat: Sucht Euch Arbeit bei irgendeinem verkrusteten alten Zyniker, der jeden Fall übernimmt, der sich ihm bietet, und nicht der Illusion anheimfällt, sein Mandant, wer immer es sei, müsse stets im Recht sein. Eine Illusion, der auch ich zu meinem Bedauern zuweilen aufsitze. Dann vielleicht, ohne jemandes Schatten, hinter dem Ihr Euch verkriechen könnt, werdet Ihr endlich erwachsen.«
Er senkte zerknirscht den Kopf. Ich sagte, freundlicher: »Nun ja, vielleicht finde ich einen Anwalt, der einen Schreiber braucht.«
Als er aufblickte, wirkte er mit einem Male fest entschlossen. »Ich arbeite nicht länger für Master Dyrick. Wie es auch kommt, ich gehe auf keinen Fall mehr zu ihm zurück.«
Ich lächelte. »Dann besteht Hoffnung für Euch, Feaveryear. Ich will sehen, was ich für Euch tun kann.«
* * *
Gleich darauf begab ich mich auf den kurzen Heimweg. Ich schloss die Tür auf und stand in der Halle. Aus der Küche hörte ich die Stimmen der beiden Knaben. Ich musste an Joan denken und verspürte einen heftigen Stich. Dann wurde mir bewusst,
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