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Der Pilot von der Donau

Der Pilot von der Donau

Titel: Der Pilot von der Donau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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liefern.
    Um das Ende des schon halb verflossenen Tages auszunutzen, fehlte es glücklicherweise nicht an Arbeit. Ja der Tag würde kaum ausreichen, in der Jolle alles wieder in Ordnung zu bringen und die kleinen durch den Sturm verursachten Schäden auszubessern.
    Serge Ladko ging zuerst daran, die Kasten in Ordnung zu setzen, deren Inhalt er bei seinem vergeblichen Nachsuchen am Morgen durcheinandergeworfen hatte. Das hätte ihm nicht viel Zeit gekostet, wenn beim Ordnen des letzten sein Blick nicht auf dieselbe Brieftasche gefallen wäre, die schon Karl Dragochs Aufmerksamkeit erregt hatte. Er öffnete sie, wie der Polizist vor ihm, und wie dieser, nur mit ganz andern Empfindungen, nahm er daraus das Bild hervor, das Natscha ihm bei ihrer Trennung übergeben und mit einer zärtlichen Widmung begleitet hatte.
    Lange Zeit betrachtete Serge Ladko das liebliche Gesicht auf dem Bilde. Natscha! Ja, das war sie, das waren ihre geliebten Züge, ihre sonnenhellen Augen, ihre wie zum Sprechen halbgeöffneten Lippen.
    Mit einem Seufzer legte er das ihm so teure Bild in die Brieftasche zurück, und diese in den Kasten, den er sorgsam verschloß und dessen Schlüssel er in die Tasche steckte. Dann verließ er die Koje, um sich andern Arbeiten zu widmen.
    Er hatte jedoch nicht mehr den richtigen Mut dazu. Bald ruhten seine Hände, und auf einer der Bänke mit dem Rücken dem Ufer zugewendet sitzend, blickte er auf den Strom hinaus. Seine Gedanken flogen nach Rustschuk. Er sah seine Gattin, sein freundliches Häuschen, worin so oft ein Lied erklang. Sicherlich bedauerte er nichts. Wie schon einmal, würde er dem Vaterlande sein eignes Glück, wenn es notwendig wurde, auch nochmals opfern. Doch welcher Schmerz, ein so großes Opfer umsonst gebracht zu haben! Wie viele Jahre würde nun, nachdem der Aufstand vorzeitig ausgebrochen und blutig niedergeschlagen war, Bulgarien noch unter dem Joche seiner Unterdrücker seufzen? Würde er selbst dessen Grenze überschreiten können, und die wieder finden, die er liebte? Hatten sich die Türken ihrer, der Frau eines ihrer entschiedensten Gegner, nicht als Geisel bemächtigt? Und wenn es sich so verhielt, was war dann mit Natscha geschehen?
    Ach, dieses kleine, intime Drama verschwand ja ganz unter den Zuckungen, die die Balkanländer erschütterten. Was zählte das Unglück zweier Wesen inmitten des öffentlichen Elends? Durch die ganze Halbinsel streiften jetzt zügellose Horden; überall erzitterte die Erde unter dem wilden Galopp der Pferde, und auch die ärmlichsten Dörfer zeigten die Verwüstungen des Krieges.
    Dem türkischen Koloß standen zwei Pygmäen, Serbien und Montenegro, gegenüber. Würde es diesen Davids gelingen, den Goliath zu besiegen?
    Ladko sah ein, wie ungleich der Kampf war, und nachdenkend setzte er seine Hoffnung auf den Vater aller Slawen, auf den großen Zar von Rußland, der einst schon noch eine schützende Hand über seine unterdrückten Söhne breiten werde.
    Von solchen Gedanken eingenommen, hatte Serge Ladko völlig vergessen, wo er sich befand. Hinter ihm hätte ein ganzes Regiment am Ufer hinziehen können, ohne daß er sich umgedreht hätte. Desto weniger bemerkte er das Herannahen dreier Männer, die von stromaufwärts herkamen und sich vorsichtig heranschlichen.
    Wenn aber Ladko die drei Männer nicht sah, so sahen die ihn gar zu gut, sobald sie an einer Windung des Stromes die Jolle erblickten. Das Kleeblatt machte sofort Halt und begann mit heimlicher Stimme eine Beratung.
    Einen der drei Ankömmlinge hat der Leser schon bei der Schilderung des Aufenthalts in Wien unter dem Namen Titscha kennen gelernt. Er war es, der sich mit einem Begleiter Karl Dragoch an die Fersen geheftet hatte, während der Detektiv selbst Ilia Brusch nachgegangen war, als dieser einen ganz unschuldigen Gang zu einem der Vermittler unternahm, die bei den Waffensendungen nach Bulgarien tätig gewesen waren. Dabei waren die beiden Spione, wie man sich erinnern wird, bis in die Nähe der Jolle gekommen, und sicher in der Meinung, die schwimmende Wohnstätte des Polizisten zu kennen, hatten sie sich dann entfernt, um über die Ausnützung ihrer Entdeckung zu beratschlagen. Die damals entworfenen Pläne galt es jetzt auszuführen.
    Die drei Männer hatten sich im hohen Grase des Ufers niedergestreckt und belauschten von hier Serge Ladko. In sein Nachsinnen verloren, wurde dieser ihre Gegenwart nicht gewahr und ahnte nicht im mindesten die Gefahr, die ihm jetzt drohte. Diese

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