Der Pilot von der Donau
angestrengt dahin, als ein durch die Entfernung geschwächter Schrei ihm in der nächtlichen Stille ins Ohr schlug. Was er ausdrückte, Freude, Zorn oder Schrecken, das zu sagen, war der ferne Schrei zu flüchtig und unbestimmt gewesen. Und doch erfüllte diese Stimme, die vom fernen Horizonte her zu kommen schien, das Herz des Piloten mit unklarer Erregung. Wo hatte er eine ähnliche Stimme gehört?… Etwas mehr, und er hätte darauf geschworen, daß es die Natschas gewesen sei…. Da hatte er aufgehört zu rudern und lauschte nur gespannt auf das leise Raunen der Nacht.
Der Schrei wiederholte sich nicht. Rund um die Jolle, die von der Strömung lautlos hinabgetragen wurde, regte sich kein Laut. Natscha!… Er hat nur noch diesen Namen im Kopfe. Dann aber rüttelte er sich auf, verwarf seine plötzliche fixe Idee und ging wieder an die Arbeit.
Die Zeit verstrich. Es mochte jetzt Mitternacht sein, als auf dem rechten Ufer einige Häuser undeutlich sichtbar wurden. Diese gehörten nur zu einem Dorfe, Szlankamen, woran Ladko, ohne es zu erkennen, vorüberfuhr.
Einige Stunden später tauchte, als die Sonne eben erschien ein andrer Flecken, Nove Banovcze, auf. Den beachtete er ebensowenig und fuhr daran vorbei.
Je heller es wurde, desto öder sahen die Ufer aus.
Bald darauf begann Serge Ladko mit der Ausbesserung der kleinen Veränderungen, die seine Verkleidung während der langen Hast erlitten hatte. In wenigen Minuten waren seine Haare von der Wurzel bis zur Spitze wieder ganz dunkel, der aufsprossende Bart abgeschoren und seine zerschlagene Brille durch eine neue ersetzt. Dann fing er wieder an, mit unermüdlichem Mute zu rudern.
Von Zeit zu Zeit warf er einen Blick nach rückwärts, konnte aber nichts Verdächtiges wahrnehmen. Die Feinde waren entschieden weit von ihm entfernt.
Von ihm unmittelbar lästigen Befürchtungen befreit, erlaubte ihm das Gefühl neugewonnener Sicherheit wieder an die Eigentümlichkeit seiner Lage zu denken. Wer mochten wohl seine Feinde sein, die ihn zu dieser Flucht nötigten? Was hatten sie mit ihm vorgehabt und warum hatten sie ihn so viele Tage in ihrer Gewalt behalten? Lauter Fragen, die er unmöglich beantworten konnte. Doch wer diese Feinde auch sein mochten, unbedingt mußte er sich fortan vor ihnen hüten, und diese Sorge bildete für seine Fahrt eine neue Schwierigkeit, wenn er sich nicht trotz der Gefahren, die ein solcher Schritt hatte, entschloß, den Schutz der Polizei, in der ersten Stadt, wohin er käme, gegen jene unbekannten Entführer anzurufen.
Welche Stadt das sein würde, wußte er ebensowenig, und nichts wies ihn auch nur einigermaßen darauf hin, denn an den verlassenen Ufern lagen nur elende Weiler weit entfernt von einander.
Erst in der achten Morgenstunde erkannte er, immer am rechten Ufer hinfahrend, einige hochaufragende Türme, während vor der Jolle noch weiter draußen eine andre Stadt am Horizonte auftauchte. Serge Ladko jubelte fast vor Freude: diese Städte kannte er nur zu gut. Die eine, die nähere, war Semlin, die letzte Stadt des österreichisch-ungarischen Gebietes an der Donau, die andre ihr ziemlich gegenüberliegende war Belgrad, die Hauptstadt Serbiens, die an einer scharfen Biegung des Stromes lind an der Ausmündung der Save ebenfalls am rechten Ufer lag.
Während seiner Einsperrung war er also immer den Strom hinunter gekommen, das schwimmende Gefängnis hatte ihn seinem Ziele genähert, und ohne etwas zu ahnen, hatte er über fünfhundert Kilometer zurückgelegt.
Vorläufig bedeutete Semlin für ihn das Heil. Im Notfalle mußte er hier Schutz und Hilfe finden. Sollte er sich aber entschließen, diese zu suchen? Wenn er sich beklagte und sein unerklärliches Abenteuer schilderte, kam es doch zu einer Untersuchung, deren erstes Opfer er jedenfalls selbst war. Vielleicht wollte man da wissen, wer er wäre, woher er käme oder wohin er wollte, und vielleicht käme da sein Name an den Tag, den er – komme was da wolle – sich zu verschweigen geschworen hatte.
Hierüber wollte er sich erst noch schlüssig machen, vorläufig beschleunigte Ladko nur den Gang seines Fahrzeugs. In der Stadt schlugen die Uhren halb acht, als er ein Tau an einem Ringe des Kais befestigte. Schnell brachte er auf der Jolle alles in Ordnung und erwog dann aufs neue die Frage, ob er reden oder schweigen sollte. Endlich entschloß er sich zu dem zweiten. Alles in allem war es doch ratsam, zu schweigen, unter seinem Schutzdache die wohlverdiente Ruhe zu suchen
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