Der Pilot
nächtlichen Spaziergang im Park zu unternehmen. Über ihnen funkelten die Sterne. »Also«, begann Han, »wie ist es dir heute gegangen? Wird es schon etwas besser?«
Sie nickte leicht. »Ein bißchen. Manchmal vermisse ich es eine ganze Stunde nicht, Han, und manchmal kommt es mir vor, als würden die Minuten überhaupt nicht vergehen. Dann bleibe ich nur mit größter Anstrengung bei Verstand.«
»Für morgen habe ich etwas ganz Besonderes geplant«, teilte er ihr mit einem Lächeln mit. »Bereite dich auf ‘ne Menge Spaß vor. Ich habe schon alles arrangiert.«
»Was?« wollte sie wissen. »Was unternehmen wir denn?«
»Verrate ich nicht«, neckte er sie. »Mach dich nur darauf gefaßt, mit den Vögeln aufzustehen.«
»Es gibt gar keine Vögel auf Togoria«, erinnerte sie ihn. »Bloß kleine fliegende Eidechsen.«
»Das stimmt«, gab er zu. »Steh trotzdem früh auf, ja?«
»Ja.«
Als Bria am nächsten Morgen das Bett verließ, konnte sie Han nirgendwo in ihren Zimmern finden. Statt dessen stieß sie auf einen Früchtekorb, eine Kanne Fruchtsaft, ein paar Streifen geräucherten Fleisches und reichlich Brot auf einem Tablett. Auf dem Tablett lag außerdem ein Stück Schreibfolie, auf dem die Worte standen: » Zieh dich an, frühstücke und komm raus. Ich erwarte dich. – H.«
Bria las die Notiz, wölbte die Augenbrauen und tat dann, wie ihr geheißen. Ihre Neugier war so stark, daß sie sogar das konstante Verlangen nach der Erhöhung dämpfte. Manchmal überkam sie die Sehnsucht in derart mächtigen Wellen, daß sie verrückt zu werden glaubte. Doch mit den verstreichenden Tagen wurden diese Anfälle immer seltener.
Bria betete zu allen wahren Göttern des Universums, daß sie eines Tages ganz aufhören würden.
Als sie den Hof vor dem Gebäude betrat, in dem man sie untergebracht hatte, traf Bria auf Han, der sie bereits erwartete. Er saß rittlings auf einer Mosgoth und hatte hinter sich ein Bündel und eine Decke an den Sattel gebunden. Sie blieb unsicher stehen, und er beugte sich mit ausgestreckter Hand zu ihr hinunter und rief: »Komm, steig auf!«
Ihr Blick wechselte von ihm zu der Mosgoth und wandte sich dann dem weiten togorianischen Himmel zu. »Du willst, daß ich mit dir auf diesem. Wesen reite?« fragte sie. An Bord eines Raumschiffs durchs All oder in einem Landgleiter zu fliegen war eine Sache, auf den Rücken eines riesigen Reptils zu klettern und sich in die Lüfte zu erheben schien etwas ganz anderes zu sein.
»Klar!« Han lehnte sich nach vorne, um den Hals seines Reittiers zu tätscheln. »Das ist Kadyss, und sie ist eine ganz Liebe, nicht wahr, mein Mädchen?« Die Mosgoth bog den sehnigen Hals und ließ eine lange, gegabelte Zunge hervorschießen. Die Streicheleinheiten gefielen ihr ganz offensichtlich.
Bria atmete tief durch. »Also gut«, sagte sie. Immerhin, so dachte sie, ist das Schlimmste, was mir zustoßen kann, daß wir vom Himmel fallen und ums Leben kommen. Dann müßte ich mir keine Gedanken mehr wegen der Erhöhung machen, oder etwa nicht?
Sie ergriff Hans Hand und setzte einen Fuß auf ein Bein des Tiers, das liebenswürdigerweise den Rücken beugte, um ihr beim Aufsteigen behilflich zu sein. Mit einem Klimmzug war sie oben und saß vor Han im Sattel. Er legte die Arme wie einen Sicherheitsgurt um sie. Bria schnappte nach Luft, dann schloß sie die Augen, als Han Kadyss ins Ohr schnalzte und an den Zügeln ruckte.
Han und Bria verließen nach zwei hüpfenden Schritten und einem Flügelschlag der kraftvollen Mosgoth-Schwingen den Erdboden und stiegen stetig auf. Bria öffnete die Augen und fand sich hoch über den Dächern der Gebäude. Der Wind sauste ihr um die Ohren, ließ ihr Haar flattern und trieb ihr Tränen in die Augen.
»Oh!« rief sie aus. »Han, das ist wunderschön!«
»Ja«, nickte er mit einem verzeihlichen Anflug von Selbstgefälligkeit in der Stimme. »Warte erst mal, bis du siehst, wohin ich dich bringe.«
Bria hielt sich am Sattelknauf fest (da sie beide eng aneinandergeschmiegt saßen, machte sie sich keine allzu großen Sorgen mehr darüber, abstürzen zu können) und fühlte sich erhöht in dem Gefühl, wirklich zu fliegen.
Wälder und Flüsse zogen unter ihnen vorbei. Bria schaute hinab auf die Felder, die Ortschaften und Seen und lächelte selig. Sie hatte sich nicht mehr so wohl gefühlt seit. ja, seit ihrer letzten Erhöhung.
Doch sogar die Erhöhung schien ihre Macht über sie für den Augenblick eingebüßt zu haben. Bria beugte
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