Der Piratenlord
hinausstoßen. So würdevoll wie möglich umrundete sie den Schreibtisch und schritt zur Tür. Auf halbem Weg hielt sie inne und bückte sich, um ihre Haube vom Fußboden aufzuheben.
„Lassen Sie sie liegen“, befahl er schroff. „Sie sehen mit offenem Haar besser aus. Stecken Sie es nicht wieder auf.“ Als sie ihn überrascht anblickte und sich über sein plötzliches Interesse an ihrem Haar wunderte, nachdem er sie eben noch hatte loswerden wollen, fügte er hinzu: „Sie haben eine größere Chance, einen guten Ehemann zu ergattern, wenn Sie Ihr Haar offen tragen, Sara.“
Sie fühlte sich gekränkt, weil er damit andeutete, dass sonst kein Mann für sie einen zweiten Blick übrig haben würde. Hastig griff sie nach der Haube und begann dann, die Haarnadeln aufzusammeln, die auf dem Boden verstreut waren, doch er näherte sich ihr mit einem unterdrückten Fluch.
„Wenn Sie sie aufsetzen, nehme ich sie Ihnen gleich wieder ab.“ Seine Stimme senkte sich zu einem rauen Flüstern. „Und Sie wissen ja schon, was dann geschieht.“
Als er noch näher kam, erhob sie sich, da sie es für vernünftiger hielt, in diesem Moment lieber auf ihre Haarnadeln zu verzichten.
Noch ehe sie etwas unternehmen konnte, riss er ihr die Haube aus den Fingern, ballte sie zusammen und stopfte sie sich in die Hosentasche. „Sie können jetzt gehen. Silas versorgt die Frauen mit Essen. In einer halben Stunde erwarte ich Sie und die anderen Frauen an Deck.“
„Weshalb?“
„Meinen Sie nicht auch, dass wir alle anderen Leute an Bord über die Bedingungen unserer Vereinbarung informieren sollten?“
Die anderen Piraten? Guter Gott, bis zu diesem Augenblick hatte sie nicht darüber nachgedacht, dass sie noch unterrichtet werden mussten. Sie hatte wirklich keine Lust, dabei zu sein, wenn es dazu kam.
Er stand jetzt dicht neben ihr, und als sie den Kopf hob, hatten seine Augen einen geradezu teuflischen Ausdruck. Nein, er konnte ihr keine Angst einjagen. Auch er war ein verwundbarer Mensch und konnte besiegt werden. Sie hatte nur noch nicht herausgefunden, wie.
„Stimmt etwas nicht?“ stieß er hervor. „Fürchten Sie sich davor, sich meinen Männern zu stellen, wenn ich ihnen sage, dass sie Ihretwegen auf ihr Glück noch eine Weile warten müssen?“
Sie hob ihr Kinn. „Ich fürchte mich vor nichts.“
Seine Miene wurde weicher. Langsam hob er eine Hand und strich ihr das Haar zurück. Sie ertrug seine Berührung nur, um
ihm zu zeigen, dass er sie nicht erschrecken konnte. Obwohl Gott wusste, dass er es tat.
„Ich glaube Ihnen, dass Sie nichts fürchten, Miss Sara Willis“, sagte er und nahm die Hand von ihrer Wange. „Ich vermute, Sie würden es mit dem gesamten englischen Königreich - oder mit der amerikanischen Nation - aufnehmen, wenn Sie müssten.“ Er senkte die Stimme. „Aber ich warne Sie - ich bin kein schrulliger englischer Lord, der sich von einer zarten Frau herumkommandieren lässt, auch wenn sie noch so wundervoll küsst. Und wenn Sie diese Frauen noch einmal aufhetzen sollten, werden Sie einen guten Grund haben, mich zu fürchten. Das verspreche ich Ihnen.“
Daraufhin wies er spöttisch zur Tür.
Mit hoch erhobenem Kopf raffte sie die Röcke und trat über die Schwelle. Dann eilte sie aufs Deck hinaus, während er die Tür zu seiner Kajüte schloss. Zu ihrem Ärger blickten mehrere Piraten hoch, als sie erschien. Vielsagend sahen sie Sara an, die spürte, wie ihr die Röte in die Wangen schoss.
Lieber Himmel, wie musste sie aussehen - ohne Haube, mit herabhängendem Haar und geröteten Lippen! Was mussten sie von ihr denken!
Was sie dachten, erriet sie an ihrem Grinsen. Sie straffte sich und ignorierte sie, als sie an ihnen vorbei zur Luke eilte. Diese elenden Schurken! Vermutlich waren sie es gewohnt, dass oft Frauen die Kajüte ihres Captains verließen und so aussahen, als hätte er sich mit ihnen vergnügt. Ganz sicher dachten sie, sie sei den Annäherungsversuchen des Piratenlords erlegen gewesen.
Zielstrebig überquerte sie das Deck. Zugegeben, sie war ein wenig schwach geworden. Aber nur bei einem Kuss. Nun ja, bei zwei. Oder waren es drei?
Ach, es spielte doch keine Rolle, wie viele es waren. Mehr würden es jedenfalls nicht werden. Das hatte er gesagt, und sie würde ihn ganz gewiss beim Wort nehmen. Zwischen ihnen würde es keine weiteren Liebkosungen mehr geben, es sei denn, dieser boshafte Pirat zwang sie ihr auf!
Nein, wirklich nicht. Keinen einzigen Kuss mehr!
Petey schloss
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