Der Poet der kleinen Dinge
zurückgesprungen und hat geschrien: »Ach, du Scheiße!« So laut, dass von der anderen Kanalseite ein Echo zurückschallte. Dann weiter: »Scheiße, was ist das denn für ein Monster?«
Und der Größere hat mit tonloser Stimme gemeint: »O Mann! Das ist ja ’n Typ!«
Ich stand zwar hinter dem Wagen, konnte mir aber sehr gut vorstellen, was sie jetzt sahen: Roswell, der sich kaputtlachte und auf seine Finger sabberte, dass es nur so schäumte, seinen riesigen, weit aufgerissenen Mund mit den vorstehenden Pferdezähnen und seinen verkrümmten Körper.
»Ist das ’n echter Typ?«, hat mich der Kurze gefragt, ungläubig, ohne den Blick von der Karre und ihrer Ladung losreißen zu können.
»Ja«, habe ich gesagt. »Und pass auf, er ist ansteckend!«
In ihren Augen leuchteten Zweifel auf.
Sie haben gezögert, wenn auch nicht sehr lange, und haben dann langsam den Rückzug angetreten, ohne aufzuhören, Roswell anzugaffen. Nach ein paar Metern haben sie sich umgedreht und sind mit großen Schritten davongeeilt. Etwas später habe ich sie von weitem lachen hören.
Ich habe Roswell, der immer noch kicherte, etwas zurechtgerückt.
»Dassswar gut, nich?«
»Ja«, habe ich gesagt. »Das war große Klasse! Ein super Einsatz!«
Die beiden Typen auf der anderen Kanalseite hatten sich keinen Zentimeter von der Stelle gerührt. Die dachten wohl, sie sitzen im Theater. Wären wir ins Wasser geschmissen worden, hätten die keinen Finger gerührt.
Der einzige Unterschied zu sonst war, dass der Dicke diesmal nicht bellte und keine einzige Bierdose nach mir warf. Es hat mir fast gefehlt.
Roswell und ich sind bis zur Schleuse weitergegangen.
Die Enten und Teichhühner waren mir jetzt egal. Selbst wenn ein Pinguin vor unserer Nase gelandet wäre, hätte es mich kaltgelassen. Ich war wütend.
Roswell sang wieder.
Ich habe mir gesagt: An ihm geht das alles total vorbei, er kapiert wirklich nichts, so viel ist klar!
Wir sind umgedreht, wieder unter der Brücke durch und an den beiden Hampelmännern am anderen Ufer vorbei, dem Bello und seinem traurigen Kumpel.
Und dann, kurz bevor wir vom Treidelweg wieder auf die Straße eingebogen sind, die zum Haus zurückführt, hat Roswell gefragt: »Aleksh?«
»Ja?«
»Ssstimm’dasss?«
»Stimmt was?«
»Dassich’n Monssser binn?«
Ich bin stehen geblieben und habe mich vor ihn gehockt. Sein Schal und der Kragen seines Parkas trieften vor Spucke. Ich habe ihn angesehen und gesagt: »Du bist bei weitem das schönste Monster, das ich kenne, du bist mein absolutes Lieblingsmonster! Hast du gesehen, wie du ihnen Angst gemacht hast?!«
Er hat die Hände vorgestreckt, »Grrrrr!« gemacht und sich dabei schlappgelacht.
Ich habe mir gesagt, ich bin feige, dass ich so tue, als wäre es ein Witz. Es ist nämlich wahr: Er ist monströs. Aber was hätte ich denn antworten sollen?
Außerdem finde ich ihn tatsächlich immer weniger scheußlich.
Er ist von einer vollkommenen Hässlichkeit. Es gibt nichts an ihm, das nicht missraten, entstellt, erschreckend oder lächerlich wäre. Nichts bis auf seinen Welpenblick, der so sanft ist, dass man es gar nicht beschreiben kann. Nichts bis auf sein schallendes Lachen, voller Leben und Humor.
Aber dieses Nichts reicht aus, um etwas in mir zu wecken, Gefühle, die ich nicht verstehe, die Lust, ihm die Flügel zu strecken, und wenn es mit Gewalt ist. Die Lust, ihm abends zuzuhören, ihn am Kanal entlang spazieren zu fahren. Scheiß auf die beiden Arschlöcher, diese armen Deppen, die heute Abend in der Kneipe ihren Kumpels von ihrer mysteriösen Begegnung erzählen werden. Und sie werden dick auftragen: O Mann, ein Schimpanse, ein echter Affe, sag ich euch!
Wir werden noch mehr Leute treffen, die loslachen werden, wenn sie Roswell sehen.
Die wahren Monster sind sie .
Stimmen am Ufer
D er Zackenbarsch saß auf der Böschung, auf seinem reservierten Platz, den man leicht an den von seinem mächtigen Hintern plattgedrückten Gräsern erkennen konnte. Entmutigte Gräser, die es aufgegeben haben zu wachsen, trotz Frühling. Er hatte sein Notizheft auf den Knien und führte Buch: eine Bierdose – ein Strich. Eins, zwei, drei, vier … Und bei fünf: ein Querstrich.
Er hat beschlossen, sie fortlaufend zu zählen, damit er, wenn sein Staudamm endlich fertig ist, die Gesamtsumme kennt. Um eines Tages seinen Enkeln davon zu erzählen. Das ist sein Lebenswerk, wie er sagt. Seine Kathedrale.
Und plötzlich hat er gesagt: »Oh?! Schau mal da!«
Wenn
Weitere Kostenlose Bücher