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Der Poet der kleinen Dinge

Der Poet der kleinen Dinge

Titel: Der Poet der kleinen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Sabine Roger
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Wo?«
    Da drüben.

 
    A ls ich diese Richtung eingeschlagen hatte, wusste ich, dass ich vielleicht auf die zwei Typen stoßen würde, die da immer rumlungerten. Aber wenn ich die andere Richtung genommen hätte, wären wir nach dreißig Metern auf der Landstraße gelandet – Teer, Verkehr und so weiter –, und darauf hatte ich überhaupt keine Lust.
    Also hatte ich mir gesagt, ich würde meinen gewohnten Weg nehmen und dann mal sehen. Mir doch egal, was andere Leute dachten.
    Ich würde an der Schleuse umdrehen und den gleichen Weg zurückgehen.
    Die zwei sind immer an der gleichen Stelle. Man könnte meinen, sie wohnen da.
    Ein großer Dünner mit langen dunklen Haaren, der mit dem Rücken an eine Platane gelehnt dasitzt und Löcher in die Luft guckt. Und ein Fettwanst, der mit leeren Bierdosen nach mir schmeißt, wenn er mich vorbeigehen sieht, als ob er mir Angst machen wollte. Ich weiß nicht, ob es das Klima ist oder der Alkohol oder ob sie sich untereinander fortpflanzen, aber es ist schon erstaunlich, wie viele Leute hier plemplem wirken.
    Die beiden da sind um die dreißig. Ich frage mich, was sie wohl daran finden, stundenlang an diesem Ufer zu sitzen. Wenn es wenigstens ein hübsches Fleckchen wäre.
    Aber es ist immerhin weniger scheußlich als die restliche Gegend, und das ist schon viel wert.
    Wenn ich vorbeigehe, ignoriere ich sie. Abgesehen von ein paar schnellen, kurzen Blicken. Sie sind zwar auf der anderen Seite des Kanals, aber es wäre ein Klacks für sie, ihn etwas weiter an der Schleuse, wo ich auch manchmal rübergehe, zu überqueren und zu stänkern.
    Ich bin lieber auf der Hut.
    Sie waren wie gewöhnlich auf ihrem Posten. Der Dicke trank sein Bier. Der andere lehnte an seinem Baum und ließ Steine übers Wasser hüpfen.
    Aber das waren gar nicht die, die Roswell mir gerade gezeigt hatte. Es waren zwei andere, auf unserer Seite des Kanals, etwa dreißig Meter weiter vorn, unter der Brücke. Zwei Jugendliche, Marke Brutalo.
    Das rieche ich drei Kilometer gegen den Wind, und ich liege selten daneben.
    Ich habe mir gesagt, besser wäre es, nicht an ihnen vorbeizumüssen. Nur konnte ich nicht umdrehen, und dank Roswells Gesangseinlagen hatten sie uns sowieso längst bemerkt.
    Ich habe ihm die Decke über den Kopf gezogen und das Verdeck runtergeklappt. Roswell hat mich fragend angeschaut.
    »Du rührst dich nicht!«, habe ich gesagt. »Wir spielen ein kleines Spiel.«
    Der von den beiden, der in unsere Richtung schaute, hat seinem Kumpel ein Zeichen gegeben. Der andere hat sich umgedreht und die Hand über die Augen gehalten wie ein Soldat, der nach dem Feind Ausschau hält. Sie haben schnell etwas ausgetauscht, von Hand zu Hand. Sie waren wohl mitten in einem Deal, was mir scheißegal war. Ich fragte mich nur, wie wir ohne Ärger an ihnen vorbeikommen würden.
    Es sah nicht gut aus: Der Kleinere steuerte auf uns zu, mit den Schultern rollend, die Fäuste tief in den Taschen seines Kapuzensweatshirts, die Mütze falsch rum auf dem Kopf, Schirm im Nacken.
    Der andere ging hinter ihm her, ohne Eile, lässig.
    Roswell kicherte unter der Plane. Er fragte sich vermutlich, wann das Spiel endlich losging. Ich habe mich zu ihm vorgebeugt, um ihm zu erklären, was er zu tun hatte, und dann gemurmelt: »Sei ganz still, okay?«
    Und seine vor Lachen erstickte Stimme antwortete: »Okeh-Scheff!«
    Als er sieben oder acht Meter vor uns stand, hat der Kurze dem anderen über die Schulter zugekrächzt: »Guck dir mal das scharfe Teil hier an! Ist das ’ne Yamaha, oder was?«
    Der andere hat dümmlich gelacht. Sie kamen näher. Für mich interessierten sie sich nicht. Sie waren nur von der Karre und ihrer Ladung fasziniert.
    Ich glaube, in dem Moment hatten sie noch nicht kapiert, worum es sich handelte.
    Sie haben sich vor uns aufgebaut, in zwei Meter Entfernung, höchstens. Der Kleine hat sich vorgebeugt und versucht, unter die Plastikplane zu linsen, die leicht zitterte, weil Roswell in sich hineinlachte.
    Ohne mich anzusehen, hat der Kleine gesagt: »O Mann, das ist was Großes! Was ist das, ’n Köter?«
    Sein Kumpel hat gemeint: »Nee, sieht eher aus wie ein Affe.«
    Der Gartenzwerg hat mich mit seinen verwaschenen blauen, völlig ausdruckslosen Augen angestarrt. »Ein Affe? Echt?!«
    Und ehe ich antworten konnte, war er schon vorgetreten, hatte mit beiden Händen das Verdeck gepackt und mit einem Ruck zurückgeschlagen.
    Roswell hat aus voller Kehle gebrüllt: »Uuuaaahhh!«
    Der andere ist

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