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Der Poet der kleinen Dinge

Der Poet der kleinen Dinge

Titel: Der Poet der kleinen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Sabine Roger
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nichts, die beiden schauten sich nicht mal mehr an.
    Die Alte tat so, als würde sie sich für die Goldfische interessieren, die träge im Aquarium schwammen. Der Alte drehte sich eine Zigarette und schaute grimmig drein.
    »Verdammt, ist das schwer!«, hat er schließlich gesagt.
    »Wir schaffen es schon, wir nehmen uns einfach die Zeit, die es braucht.«
    Ich fand es ziemlich nett von der Alten, dass sie ihn aufmunterte, nachdem er sie gerade verlassen hatte.
    »Wir schließen bald, meine Herrschaften!«
    Ich habe meinen Kaffee ausgetrunken und mir vor dem Spiegel die Haare zurechtgestrichen.
    Scheiße, habe ich mir gesagt, was hab ich denn für ’ne Fresse?

Bierdosenweitflug
    R oswell war begeistert von unserem Ausflug zurückgekehrt, durchgefroren, Nase und Wangen knallrot, nachdem er den ganzen Heimweg über ein Lied gegrölt hatte, das nur er kannte.
    Als wir durch das Gartentor kamen, habe ich gesehen, wie ein Vorhang diskret angehoben und dann gleich wieder fallen gelassen wurde.
    Marlène schien nach uns Ausschau zu halten.
    Ich habe Roswell auf die Beine geholfen, ganz allmählich, weil er total eingerostet war. Man muss ihn oft bewegen, sonst wird er steif wie eine Schaufensterpuppe.
    Wir sind Arm in Arm in die Küche gegangen, wobei er von einer Seite zur anderen schwankte und ich versuchen musste, ihn sowohl am Stolpern zu hindern als auch ein kleines Stück vorwärtszukriegen.
    Er war vollkommen aus dem Häuschen.
    Er schrie auf Roswellsch: Wir haben den Kanal gesehen! Wir haben den Kanal gesehen!
    Man hätte meinen können, er wäre auf dem Mond gewesen.
    Ich habe mir gesagt, dass er schon lange nicht mehr draußen gewesen sein musste. Vielleicht sogar noch nie, wer weiß?
    »Wenn du ihn mir so aufgekratzt wieder zurückbringst, hättest du dir das sparen können«, hat Marlène gemotzt.
    Ich habe Roswell zu seinem Sessel begleitet und ihm geholfen, sich zu setzen.
    Marlène ist explodiert: »Den lässt du mir aber nicht da wie ein Hund seine Scheiße!«
    Wenn Marlène ihren Anfall kriegt, ist nichts zu machen. Es kommt plötzlich und unaufhaltsam, ein Hagelschauer, der eine Spur der Verwüstung hinterlässt. Wenn es sie packt, findet sie mühelos einen Grund loszubrüllen, und wenn sie ihn sich aus den Fingern saugen muss. Wut und Ärger machen sie erfinderisch.
    »Als Erstes räumst du mal deine Kiste in den Schuppen, statt sie einfach vor dem Eingang stehenzulassen. Mein Garten ist nämlich keine Müllhalde!«
    Ich habe mir Zeit genommen, um Roswell auszuziehen, der in seinem dicken Parka, mit dem Schal und der Mütze schon krebsrot anlief.
    Dann bin ich hinausgegangen, um die Karre zu parken, und habe bei der Gelegenheit gleich die Sitzfläche und die Lehne ausgemessen im Hinblick auf die Verbesserungen, die ich hier vorhatte.
    Der Tag war noch lange nicht zu Ende, und ich hatte nicht die geringste Lust, Marlène weiter zu ertragen. In meiner Miete ist die Geduld, die es braucht, um ihre Launen auszuhalten, nicht inbegriffen.
    Ich hatte das Bedürfnis, mich zu bewegen, meinen Kopf ordentlich durchzulüften.
    Bertrand kam gerade mit dem Fahrrad aus der Fabrik. Als er mich am Gartentor gesehen hat, ist er stehen geblieben. Seine Bremsen quietschen ganz scheußlich, aber er will sie auf keinen Fall fetten, weil sie ihm die Hupe ersetzen.
    Er ist abgestiegen, hat »Hallo, wie geht’s?« gesagt, den Mund schief gezogen, die ewige Kippe im Mundwinkel, von der er schon eine gelbliche Spur auf der Haut hat.
    »Arbeitest du heute nicht?«
    »Ist mein Ruhetag.«
    »Ach so. Gehst du ein bisschen aus? Kumpels treffen?«
    »Ich geh in die Stadt.«
    »Ich sag dir was: Wenn man jung ist, muss man sich amüsieren. Hab ich nicht recht?«
    »Doch, doch.«
    Bertrand hat mir zugenickt, mit seinem abwesenden Blick und dem leeren Lächeln.
    Man meint immer, er denkt nach und wird sicher gleich noch etwas sagen, etwas unheimlich Wichtiges, das er unbedingt loswerden will. Aber nein, er schweigt.
    Er schweigt, und das war’s.

 
    I ch werde nicht für immer hier bleiben.
    Mein Job ist in knapp sechs Wochen zu Ende, und ich bin nicht gern lange am selben Ort. Wenn mein Vertrag ausläuft, packe ich meine Siebensachen und mache mich wieder auf den Weg.
    Was es hier zu sehen gibt, habe ich gesehen. Also ziehe ich weiter.
    So habe ich es immer gemacht, seit ich vor zwölf Jahren bei meinen Eltern ausgezogen bin. Nie länger als sechs Monate irgendwo. Meistens weniger. Weggehen und sich nicht binden, die Leute und die

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