Der Poliziotto tappt im Dunkeln (German Edition)
und richtete seinen Blick auf Roberto. «Er wird mich töten, und ich bin zu schwach, etwas dagegen zu tun.» Auch wenn er sich nach wie vor weigerte, die Existenz eines Golems anzuerkennen – Francos Todesangst stand außerhalb jeden Zweifels.
« Salve , Poliziotto Rossi.»
Roberto fuhr erschrocken herum. Diese Stimme, dieser Akzent, unverwechselbar Gruber. Wo war der denn so schnell hergekommen, eben war die Piazza noch menschenleer gewesen. «Was wollen Sie?»
«Nur ein paar freundliche Worte wechseln», lächelte der Münchner und wandte sich Franco zu. «Wie geht es denn inzwischen?»
«Ja», erwiderte Franco.
«Sie haben mir heute Morgen gar nicht von Ihrem klangökologischen Projekt erzählt. Eine tolle Idee, die Klänge vom Aussterben bedrohter Tierarten mit dem Tonband aufzuzeichnen und für die Nachwelt zu konservieren.»
«Mit einem digitalen Field-Recorder, der WAV-Dateien mit 24-Bit/192 kHz im Broadcast Wave Format auf SD-Karte aufzeichnet. Kein Tonband.»
«Spannend. Da würde ich gerne mehr drüber hören.»
«Eine internationale Kooperation von Klangkünstlern, die –»
«Wir haben wichtige Dinge zu erledigen», ging Roberto dazwischen und schob Franco einfach weiter. In seiner Hosentasche vibrierte und zwitscherte sein Handy. Eine SMS.
«Schade. Na, vielleicht ein andermal.»
«Lassen Sie den Mann in Ruhe.»
«Eine mysteriöse Sache, dieser Mord an Ruggero Grilli», rief Gruber hinterher.
«Es war –»
Roberto schlug dem Musiker mit der flachen Hand auf den Hinterkopf. «Kannst du vielleicht mal deine Klappe halten? Nur ein einziges Mal?»
«Du hast mich schon wieder geschlagen.»
«Aber nicht auf die linke Wange. Also beschwer dich nicht.» Roberto schob Franco weiter und vermied es, sich umzudrehen.
«Worüber habt ihr geredet, der Deutsche und du, heute Morgen an der Ölmühle?»
«Er hat mir eine Menge Fragen über den Tathergang gestellt. Ist wirklich ein sehr netter Mensch.»
«Der Mann ist ein Scheusal», erwiderte Roberto und holte sein Handy hervor. Die SMS war von Malpomena.
«Erste Ergebnisse um 16 Uhr. Komme bitte ins Istituto di Chimica Generale ed Inorganica. Malpomena»
Roberto musste lächeln, Malpomena schrieb selbst in einer SMS alle Worte aus, setzte die richtigen Satzzeichen und hielt sich an die Regeln von Groß- und Kleinschreibung. Er warf einen Blick auf die antike Uhr an der Hausfassade Ecke Via Garibaldi und Via Veneto. Gerade erst 13 Uhr. Noch drei Stunden. Plötzlich übermannte ihn eine Müdigkeit, so groß wie die eines Grizzlys vor dem Winterschlaf. Zugleich beschäftigte ihn eine Frage, auf die er gerne eine Antwort gehabt hätte. Auch wenn das hieß, dass er die furchtbar steile Via Mazzini bis zur Porta Valbona hinuntergehen mussten; was wiederum nichts anderes bedeutete, als dass er diesen anstrengenden Weg wieder würde hinaufgehen müssen. Also, eigentlich mehr etwas für Sisyphos als für ihn, Roberto Rossi.
«Wo genau ist er verschwunden?»
«Dahinein.» Franco deutete auf den gewölbeartigen Vorraum in der Synagoge.
«Va bene . » Roberto trat mit einem großen Schritt über den Schwellenstein hinweg in den Vorraum. Mit jüdischen Türschwellengeistern kannte er sich überhaupt nicht aus. Möglicherweise waren die noch empfindlicher als die – ja, was? Christlichen? «Und was dann?»
«Dann war er plötzlich weg.» Franco schnippte mit den Fingern. «Einfach weg. Wie eine Seifenblase, die man antippt.»
Drei Türen gingen von hier ab. Hinter der rechten befanden sich die Vorbereitungsräume und der Betsaal, also die eigentliche Synagoge. Hinter der linken führte eine Treppe hinauf zur Empore für die Frauen, die dem Gottesdienst nur getrennt von den Männern beiwohnen durften. Hinter der Tür in der Mitte befand sich eine Art Warteraum ohne Fenster.
Roberto rüttelte an den Türen. «Alle verschlossen. Und zwar immer. Wegen der wertvollen …», er wedelte mit den Armen. Hieß es bei den Juden auch Devotionalien?
«Dann hat der … der …, dann hat der eben einen Schlüssel.»
«Und du meinst, der hockt jetzt dadrin? In diesem Moment?»
Franco sah sich ängstlich um. Roberto überlegte, ob er Rabbi Shlomo anrufen sollte, damit der ihm die Synagoge aufschloss. Aber was sollte er ihm sagen? Da soll sich ein Golem in Ihrer Synagoge verschanzt haben? Das klang genauso bescheuert, wie zu Giovanni Tani, dem Erzbischof von Urbino, zu gehen und ihm zu sagen: Einer der apokalyptischen Reiter soll sich aktuell in der Krypta
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