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Der Poliziotto tappt im Dunkeln (German Edition)

Der Poliziotto tappt im Dunkeln (German Edition)

Titel: Der Poliziotto tappt im Dunkeln (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uli T. Swidler
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und peilte noch einmal zurück, die Treppe hinauf. Da, eine riesige Silhouette wuchs in die Höhe, ein Mensch, ein Wesen mit einem anormal großen Kopf, der oben spitz zulief und an den Seiten in runden Bögen ausbeulte. Robertos Körper wurde starr, er konnte nichts dagegen machen. Er wartete. Das Ding tastete sich die Treppen hinunter, in seine Richtung. Und endlich löste sich seine Starre. Er rannte los, stolperte die schlüpfrigen Stufen hinunter, passierte das Haus des Rahmenmachers Gilberto Sabatini, gleich vor ihm war die jüdische Synagoge, und fünfzig Meter weiter sah er das beruhigende Licht der Via Mazzini.
    Plötzlich ein gellender Schrei. Aber von vorne. Eine weibliche Stimme. Eine Frau stürzte aus der schmalen Via Sotto le Stallacce vor ihm heraus, stolperte, schlug zu Boden, raffte sich wieder auf, verfolgt von einem Schatten, einer Gestalt, die nicht lief, sondern schritt. Langsam, bedrohlich, unbeirrbar wie eine Maschine. Sie hatte einen gewaltigen Kopf, aber keinen Hals, und die Beine sahen aus wie die eines Elefanten, säulenartig und ohne Füße. Wieder schrie die Frau. Robertos Ohren vibrierten, schmerzten, blockierten jedes weitere Gefühl, jeden Gedanken. Außer dem einen: Da war ein Wesen hinter ihm, und da war ein Wesen vor ihm. Er sah, wie der Schatten seine Arme hob, sich der schreienden Frau näherte, die ihrerseits kraftlos in die Hocke ging.
    Hilf ihr, verdammt noch mal! Roberto hatte das Gefühl, aus zwei Teilen zu bestehen, einem, der losstürmen wollte, und einem, der wie ein Baum im Boden verankert war. Hilf ihr!
    Und da, der erste Teil gewann langsam an Kraft. Der Poliziotto hob einen Fuß, der erste Schritt, dann der nächste. Wie lange würde er bis zu der Frau brauchen? Doch plötzlich polterten von hinten schnelle Schritte heran, etwas Lehmfarbenes flog an ihm vorbei, brüllte wie ein Stier. Der Golem war bei der Frau, jawohl, es musste der Golem sein, massig, gewaltig, er zuckte zurück, zögerte für einen Moment, bevor er sich umdrehte und in die Gasse zurückrannte, aus der er gekommen war, verfolgt von der zweiten Gestalt. Die Schritte der beiden verloren sich schnell.
    Die Frau war weinend zusammengebrochen und verdeckte ihre Augen, als könnte sie damit alles Entsetzliche zum Verschwinden bringen. Roberto griff nach ihrer Schulter und zog sie hoch. Sie wehrte sich nicht und wimmerte in der Erwartung, dass ihr letztes Stündlein geschlagen hatte. An ihren Armen klapperten unzählige Goldreifen – endlich erkannte Roberto, um wen es sich handelte.
    «Donna Domenica, beruhigen Sie sich. Sie sind in Sicherheit. Ich bin’s, Roberto Rossi. Der Poliziotto.»
    Donna Domenica warf ihre Arme um seinen Hals. « Santa Maria benedetta! Er wollte mich töten.»
    «Wer war es? Konnten Sie ihn erkennen?», fragte Roberto.
    «Ja. Nein.»
    «Was denn?»
    Donna Domenica zitterte nur.
    «Und wer war der andere?»
    «Hast du die Farbe seines Körpers gesehen, Roberto?»
    «Für mich sah das mehr nach einem Mantel aus.»
    Donna Domenica schüttelte schaudernd den Kopf. «Das war das Wesen aus Lehm. Das war der Golem.»
    «Wer jetzt? Der, der Sie angegriffen hat? Oder der, der den Angreifer verjagt hat?»
    «Beide», flüsterte Domenica.

[zur Inhaltsübersicht]
    13.
    Malpomena umfasste den überdimensionalen Teepott mit beiden Händen – sie umklammerte ihn, und zwar so verkrampft und mit so großer Kraft, als wollte sie den Steinguttopf mit bloßen Händen zerbröseln. Sie hatte einfach keinen Schlaf finden können, und selbst diese hochpotente Mischung aus Melisse, Kamille, Lindenblüten, Salbei, Verbene, Baldrianwurzel, Hopfen und Lavendel hatte sie noch nicht einmal zum Gähnen gebracht. Schuld war diese merkwürdige Euphorie, die sie bei dem Gedanken empfand, ein Kind zu gebären. Einen Menschen, der ihre Gene in sich trug, für den sie der Mittelpunkt der Welt sein würde, der nicht an ihr zweifeln würde – was war denn für einen kleinen Menschen wichtiger als die Mutter? Und gleichzeitig war da diese wahnsinnige Angst, ihr gesamtes Leben unwiderruflich auf den Kopf stellen zu müssen, neben all den anderen Problemen, die sich andeuteten, wenn man ein Kind großzog. Sie stand im 20. Semester ihres Medizinstudiums, nicht weil sie faul war, o nein, es war der Wunsch, so viel wie möglich zu lernen, bevor sie sich auf eine Disziplin festlegte. Vielleicht sollte sie ihr Studium zunächst zu Ende bringen, bevor sie an ein Kind dachte. Aber nein, es war ja nicht sie, die an ein

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