Der Poliziotto tappt im Dunkeln (German Edition)
mich nicht, wieso. Ein Pulsschlag hat mitunter seine eigene Dramaturgie mit überraschenden Tempowechseln.»
Roberto betrachtete Malpomena aus der Nähe, ihre bernsteinfarbenen Augen, ihre hohen etruskischen Wangenknochen, dieses feine flaumige Haar an ihren Schläfen. Und ihr Duft, eine Mischung aus Schlaf, Bourbon-Vanille und – Baldrian? Sie war wirklich eine höchst attraktive Frau. War ihm das noch nie aufgefallen? Sein Herz schlug noch ein wenig schneller.
Malpomena sah ihn misstrauisch an und rückte etwas von ihm ab. «Etwas stimmt nicht mit dir.»
Roberto lachte albern. «Ich habe Hunger. Hast du was da? Schokolade oder ein Stück Kuchen? Aber keinen trockenen. Irgendwas mit Sahne oder Pudding.»
Malpomena holte einen 200-Gramm-Riegel Torrone aus ihrer Anrichte und reichte ihn Roberto. Mit wachsamen Augen beobachtete sie, wie er die Packung zerfetzte und gierig einen riesigen Brocken abbiss.
«Gibt es neben Puls und Heißhunger auf Süßes noch andere Irregularien?»
«Bitte was?», fragte Roberto und biss noch einmal ab.
«Aberrationen im Empfinden?»
Roberto verspürte plötzlich das Verlangen, ein wenig herumzutänzeln. Wie sein cugino .
Bei Malpomena verfestigte sich ein Verdacht. «Würdest du zustimmen, folgende Symptome bei dir zu verspüren: Lachzwang, unerklärliche Euphorie, intensive Musikwahrnehmung?»
«Kann man sagen», jubelte Roberto und versuchte sich daran zu erinnern, wie man eine Tarantella tanzte.
«Das Gefühl zu schweben, sexuelles Verlangen?»
Roberto hielt für einen Moment inne und sah Malpomena an. Vielleicht einen Moment zu lange. Malpomena schlug ihre Augen nieder und nestelte ein wenig verwirrt an ihrem Morgenmantel herum. Ihr Busen zeichnete sich unter dem fließenden Seidenstoff deutlich ab, und Roberto fragte sich, seit wann sie überhaupt einen Busen hatte.
«Wäre es für dich denkbar, mir eine Blutprobe zu überlassen?»
Robert ließ mit einem leichten Zischen die Luft aus seinen Lungen entweichen. Obwohl er sich nicht erklären konnte, warum, so hatte er doch etwas anderes erwartet. «Wozu?»
«Auf keinen Fall solltest du Auto fahren. Du kannst ja hier», sie deutete auf die Couch im Wohnzimmer. «Obwohl, da liegt ja schon diese goldene Gans.» Sie realisierte, dass es eigentlich nur noch in ihrem Schlafzimmer einen Platz gab. «Also, ich sag mal so: Fahre so vorsichtig wie möglich und mit offenem Fenster.»
Enttäuscht nickte Roberto und ließ sie ein riesiges Röhrchen mit seinem Blut füllen, bevor er sich auf den Weg nach Rombolina machte.
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14.
Nächster Morgen. Eine klebrige Dumpfheit lag auf Roberto, schwer wie eine Grabplatte, gepaart mit gigantischen Kopfschmerzen. Kein Grund, sein Bett zu verlassen, und wenn sein strohtrockener Mund nicht gewesen wäre und dieser unsägliche Durst, hätte er sich einfach umgedreht und weitergeschlafen. Draußen warteten ohnehin nur ein Mörder aus Lehm, das Grau des Novembers und alltägliche Routine wie das Feuer im Kamin aus der Restglut hochzukitzeln, die Asche zu entfernen und frisches Brennholz hereinzuschleppen.
Eine Weile knetete Roberto seine Stirn und rieb seine Augen, bis er es endlich schaffte, sie offen zu halten und sich aufzurichten. Was für eine trostlose Welt! Noch nie in seinem Leben war er so deprimiert gewesen wie in diesem Moment. War das etwa das tägliche Grundgefühl von Malpomena, der ewig Niedergeschlagenen?
Er nahm sich vor, langsam bis zehn zu zählen und dann aufzustehen. Er kam nur bis zwei. Plötzlich plärrte das Radio in der Küche, zuerst Radio Radicale, dann drehte jemand an der Einstellung, verschiedene Sender zwitscherten kurz auf, bis einer übrig blieb. Jazz.
Langsam kehrte Robertos Erinnerung zurück: Franco, der auf dem Sofa in der Küche eingeschlafen war. Franco, der wie Pappelblätter im Wind zitterte und Flitzeaugen bekam, wenn man das Wort Golem sagte. Donna Domenica, die gleich zwei Golems begegnet war. Und Malpomena, der er zu einem Kind verhelfen sollte. Ächzend schälte Roberto sich aus seiner kuscheligen Daunendecke. Aus der Küche wehte der Duft von frischem caffè herein, und als Roberto die Tür aufstieß, schwallte ihm eine unerwartet angenehme Wärme entgegen. Franco saß vor dem Radio und wippte zum Takt der Musik. Zumindest nahm Roberto an, dass es einen Takt gab, auch wenn er ihn in dem Durcheinander von Saxophon, Trompete und Klavier nicht ausmachen konnte. Im Kamin brannte ein wahres Höllenfeuer.
«Was soll das, Franco?
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