Der Poliziotto tappt im Dunkeln (German Edition)
herunter.
«Macht, was ihr wollt, ich geh eine Runde spazieren.»
Er griff noch einmal in die Vitrine, vorsichtig, der Sprung in der Glasscheibe sah für ihn aus wie eines von diesen giftigen Insekten, die es auf Jamaika zuhauf gab, holte sich ein Schokocroissant heraus und machte sich auf den Weg zur Tür.
«Eh, eh! Und wer bezahlt deine Rechnung?»
Roberto kehrte noch einmal zurück, griff in seine Hosentasche, holte seinen gesamten Vorrat an Friedhofserde hervor und ließ sie auf die Theke rieseln. «Falls der Golem kommt.» Lachend machte er sich davon.
«Randalierer!», regte Toto sich auf. «Und immer alles auf meine Kosten!»
«Nimmt er Drogen?», fragte Gruber.
«Der?» Toto lachte auf.
«Aber er trinkt viel, oder?»
«Eigentlich nicht. Ehrlich gesagt habe ich ihn selten richtig betrunken gesehen.» Toto stutzte, wandte sich seinem Notebook zu und tippte ein paar Befehle ein. «Zuletzt im Jahr 2002 am 7. August. Da ist er volltrunken zum Dienst erschienen. Das war, als Maria Corbucci ihm Hörner aufgesetzt hat.»
«Ah, Sie führen ein Tagebuch und halten solche Dinge fest?»
«Tagebuch? Sie meinen, ich schreibe auf, was ich täglich erlebe?»
Gruber nickte.
Toto sah ihn mitleidig an. «Nein.»
Gruber wartete auf eine Erklärung, aber es kam keine.
Roberto badete in einem grandiosen Gefühl. Die Welt erschien ihm so wunderbar koloriert, sie duftete so frisch und lebendig, und der Begleitchor der Häuser und Straßen zu Paolo Conte und Bob Marley klang so zart und zugleich treibend wie die drei schwarzen Background-Sängerinnen hinter Mick Jagger bei der letzten Stones-Tournee. Moment mal, dachte Roberto, seit wann singen Häuser? Wieso hörte er den Conte noch, obwohl er Totos Bar längst verlassen hatte? Seit wann interessierten ihn Mick Jagger und die Rolling Stones? Was hatte er mit Bob Marley zu schaffen? Und dieses Lachen, wieso konnte er auf Teufel komm raus nicht damit aufhören?
Er hielt sich für einen Moment am Schaukasten der L’Unità fest, ratlos. Autofahren konnte er jedenfalls vergessen. Vielleicht half ja tatsächlich ein kleiner Spaziergang. Um jede Steigung oder jedes Gefälle zu vermeiden, passierte er den Palazzo dei Legato Albani linker Hand und folgte dem Corso Garibaldi in Richtung Teatro Sanzio. Die Arkaden hier waren bei weitem nicht so großzügig angelegt und viel dunkler als die vor Totos Bar, und sie reflektierten den Klang seiner Schritte deutlich intensiver. Das Geklapper seiner harten Ledersohlen wurde so laut und traktierte seine Trommelfelle so sehr, dass er kurz stehen bleiben musste. Merkwürdigerweise brauchte der Klang seiner Schritte etwas länger, um zu einem Stillstand zu kommen.
Meine Schritte brauchen etwas länger, um zum Stillstand zu kommen, dachte Roberto und drehte sich um. Ein dunkler, mit einigen Nebelschwaden durchzogener Gewölbegang, sonst nichts. Doch halt, da, eine massige Gestalt, die sich langsam hinter eine Säule zurückzog. Roberto starrte ins Halbdunkel. Oder war das eine optische Täuschung? In seinem Magen ging es inzwischen drunter und drüber, und seine Sinne funkten die merkwürdigsten Ereignisse an sein Hirn. So leicht und beschwingt sich das anfühlte, so verwirrend und auch bedrohlich erschien es ihm. Allerdings nur für eine Sekunde. Dann kehrte diese grandiose Euphorie zurück, dieses Mal sogar verstärkt durch das Gefühl zu schweben. Che forte , ich kann fliegen, dachte Roberto und war kurz davor, Anlauf zu nehmen und sich über die Brüstung der Mauer des ehemaligen Marstalls zu stürzen, um die lächerlichen dreißig Meter hinunter auf den Borgo Mercatale zu segeln.
Das Teatro Sanzio. Hier musste er sich entscheiden, ob er den steilen Fußweg hinauf zum duomo nahm oder die verwinkelten Treppen hinunter ins jüdische Ghetto. Hinunter. Das war in jedem Fall bequemer, und es kam ihm gar nicht der Gedanke, dass «hinunter» in Urbino gleichbedeutend war mit «Danach geht’s wieder steil bergauf».
Die Treppen waren abschüssig und schmal. Hier war es noch dunkler. Waren da wieder diese Schritte? Roberto blieb stehen und lauschte in die Dunkelheit. Plötzlich verkehrte sich seine Euphorie in Angst, sein Puls pochte unter der Schädeldecke, als wäre sein Herz dort hinaufgerutscht. Es griff an seinen Gürtel – und tastete ins Leere. Porca puttana! Keine Pistole. Die lag immer noch in der Schublade auf der Wache zwischen der MagLite und der salsiccia picante .
Er tastete sich weiter bis zum nächsten Mauervorsprung
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