Der Poliziotto tappt im Dunkeln (German Edition)
Kind dachte, sondern die Umstände erforderten es, daran zu denken.
«Urbino ist so steil», jammerte sie, während sie aus dem Fenster sah, das nach Südosten auf das Mausoleo dei Duchi zeigte, den jahrhundertealten Friedhof der adeligen Familien dieser Gegend. «Wie soll ich nur mit einem Kinderwagen die Stadt durchmessen?» Zum Beispiel wenn sie ihre Schwester Talia besuchte. Von dort nahm sie immer den Weg links herum, die verwinkelten Treppen hinunter zur Piola San Margherita. Undenkbar mit einem Kinderwagen, selbst wenn sie sich einen mit großen, geländetauglichen Rädern besorgte. Also würde sie rechts herum die Via dei Maceri und dann die steile, schnurgerade Via Raffaello nehmen müssen. Und was, wenn der Kinderwagen ihr dort aus der Hand rutschte und mit rasendem Tempo hinunterrollte, das Kind von Todesangst geschüttelt, schreiend, hilflos?
«Signor Iddio.» Sie zitterte vor Entsetzen. Ihr armes kleines Mädchen – natürlich würde sie keinen Jungen bekommen, da war sie sich absolut sicher. Als ihr Telefon klingelte, war sie derart in grauenvollen Gedanken gefangen, dass sie sich gar nicht über diesen späten Anruf wunderte, inzwischen war es fast Mitternacht.
«Ich werde mir einen Fangriemen ums Handgelenk wickeln, den ich mit einer soliden Schnalle am Griff des Kinderwagens befestige. Nicht aus Leder», sie hob den Hörer ab, «sondern aus einem elastischen Material, damit kein Ruck dem zarten Hälschen meines Mädchens Schaden zufügen kann.»
«Liest du dir gerade aus einem Märchen vor?», fragte Roberto und lachte. Merkwürdig, fand Malpomena und legte gedankenverloren wieder auf. Gerade Schütteltraumata waren bei Säuglingen eine erschreckend häufige Todesart, wie sie bei einem Praktikum in der Pathologie der Policlinico Universitario Agostino Gemelli in Rom hatte erfahren müssen. Wieder klingelte das Telefon. Wütend hob sie ab.
« Santa Maria , was ist denn?»
«Roberto hier. Ich brauche deine Hilfe.»
«Muss das sein?», fragte Malpomena verärgert zurück.
«Muss.»
Zehn Minuten später hockte Donna Domenica in Malpomenas Wohnzimmer vor dem Aquarium und zählte die vorbeischwimmenden Sumatrabarben.
«Und was soll ich mit dieser goldbehangenen Pute?», giftete Malpomena.
«Sie will weder die Nacht in einem Albergo verbringen noch in ihre eheliche Wohnung zurückkehren.»
«Dann nimm sie mit zu dir, Herrgott noch mal!»
«Geht nicht. Ich habe schon Franco bei mir herumsitzen.»
«Na und? Lass sie zusammenhocken und ein wenig Musik machen. Free Jazz. Dafür muss man nicht einmal ein Instrument beherrschen.»
«Wenn ich sie mitnehme, werde ich sie nicht mehr los. Seit sie sich von Carlo getrennt hat, hat sie etwas Krakenartiges.»
Malpomena bemühte sich, ihre negativen Gefühle nicht allzu groß werden zu lassen. Sie war zutiefst überzeugt, dass eine adelige Abstammung aus niemandem einen besonderen Menschen machte und daher niemand sich etwas darauf einbilden durfte. Deswegen wohnte sie demonstrativ in dieser winzigen Wohnung fast ohne Möbel. Für Malpomena waren alle Menschen gleich – bis auf Donna Domenica. Sie gehörte zur Familie der Galeotti, die für die Del Vecchio nichts anderes als Nachkommen übler Raubritter und Banditen waren, denn die Galeotti verdankten ihren Reichtum ausschließlich ihrer Tätigkeit als Steuereintreiber des Papstes. Was vor allem bedeutete, dass sie viele Jahrzehnte lang den einen oder anderen Sack Golddukaten in die eigene Tasche hatten verschwinden lassen. Gemessen an den altehrwürdigen Del Vecchio waren die Galeotti dubiose Neureiche. Und Domenica war nicht einmal das, weil man sie praktisch enterbt hatte, als sie den Schuhverkäufer Carlo Manzoni geheiratet hatte.
«Allein sie in meiner Nähe zu wissen bereitet mir Kopfschmerzen. Hast du ihre Fingernägel gesehen? Damit könnte man Troja ausgraben.»
Roberto lachte, viel zu laut und irgendwie merkwürdig, zugleich schwang sein Kopf in einem für Malpomena erkennbaren, aber nicht benennbaren Rhythmus hin und her. Sie sah ihn prüfend an.
«Bist du in Ordnung?» Sie fasste sein Handgelenk, um den Puls zu überprüfen. «Nanu?» Besorgt legte sie ihre Finger an seine Halsschlagader. «Ah, da haben wir ihn ja. Ich dachte schon, du wärst tot.»
Jetzt war sie es, die merkwürdig lachte, mit einem gutturalen Unterton. Roberto spürte ein sanftes Kribbeln in der Lendengegend, ein leichtes – sexuelles Verlangen?
«Na, schau an, jetzt kommt wieder Tempo in deinen Kreislauf. Frag
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