Der Poliziotto tappt im Dunkeln (German Edition)
zugehört hätte. Bestimmt wollte sie vor allem mehr Respekt und Zuwendung, und sicher wollte sie nicht immer dieses schale Gefühl haben müssen, in den grinsenden Gesichtern diverser Frauen, denen sie auf der Straße begegnete, den Triumph der Geliebten gegenüber der durch Kinder und Alltag unattraktiv gewordenen Ehefrau zu sehen. Zudem war Galdroni nicht gerade diskret, was seine zahlreichen Eroberungen betraf, über die er gerne und freimütig erzählte. Was seine Frau dann brühwarm von so liebevollen, mitfühlenden Menschen wie Maria Corbucci oder Domenica Galeotti weitergereicht bekam.
Roberto musste unbedingt seine Gedanken ordnen, und bis Toto mit ersten Ergebnissen seiner Nachforschungen aufwarten konnte, würde einige Zeit vergehen. Da konnte eine kleine Pause unten in der Zisterne des Palazzo Ducale nicht schaden, dem einzigen Ort, an dem er sicher sein konnte, von niemandem gestört zu werden. Zwar hatte er die Zisterne nach dem tragischen Tod von Carmela Tozzi, die er ausgerechnet dort unten gefunden hatte, für eine Zeit gemieden, doch mittlerweile war der Schrecken verblasst. Außerdem verspürte er einen bohrenden Hunger, so groß, dass sein Geruchssinn ihm vorgaukelte, den pannino in seiner Umhängetasche riechen zu können, ein verführerischer Duft. Rucola und formaggio di capra gehen so gut zusammen wie ein caffè und ein cantuccino ; oder sein Roter und ein Weißbrot mit dem eigenen Olivenöl.
Am Palazzo Corboli ging die Veneto mit einem leichten Schwenk nach rechts in die Via Puccinotti über, die kaum länger war als die gewaltige Treppe, die zum duomo hinaufführte. Weiter hinten leuchtete die Südostseite des Palazzo Ducale in einem rötlich-warmen Sandfarbton. Wieder hatte es die Sonne geschafft, sich gegen Nieselregen und Nebel durchzusetzen. Urbino war, was das Wetter betraf, ein erstaunlicher Ort mit einem Mikroklima, das sich jeder Wettervorhersage widersetzte. Oft genug lagen schwere Wolken über dem nahen Monte Polo oder den weiter entfernten Höhenzügen der Apenninen, und zur gleichen Zeit wurde Urbino von der Sonne beschienen wie ein von Gott auserwähltes Fleckchen Erde, dem meteorologisch nicht zu viel zugemutet werden sollte. Auch die Temperaturen waren hier in der Regel um einige Grade moderater als in der Umgebung, im Sommer nicht ganz so heiß, im Winter nicht ganz so kalt. In dieser Hinsicht hatten die Späher der Fürsten da Montefeltro hervorragende Arbeit geleistet, als sie die Marken nach dem passenden Ort für den Sitz des zukünftigen fürstlichen Palazzo durchforstet und diese beiden steilen Hügel als perfekte Lage auserkoren hatten.
«Und jetzt stellt euch bitte vor, dass der duomo vor dem Erdbeben zwar an derselben Stelle gestanden hat, allerdings um neunzig Grad verdreht. Ist das nicht bizarr?»
Gruber! Roberto brauchte nicht darüber nachzudenken, wem diese Stimme gehörte. Sie schnitt ihm tief in die Eingeweide und verursachte ein Unwohlsein, das selbst seinen akuten Hunger überlagerte. Jetzt sah er den Deutschen zusammen mit Franco und Donna Domenica die Treppe nahe der Statue des San Crescentiano, des Schutzpatrons Urbinos, herunterkommen. Sofort wandte er sich nach rechts, um sich über die winzige Piazza Pascoli vor dem Museo Diocesano in die Via dei Morti zu verdrücken.
«Roberto! Roberto!», rief Franco gut gelaunt.
Zu spät.
«Agente Rossi!», stimmte Gruber mit ein.
Nur Donna Domenica hob verschnupft das Kinn und betrachtete demonstrativ San Crescentiano, als sähe sie den Heiligen zum ersten Mal. Dass Roberto sie zu Gruber verfrachtet hatte, anstatt sie in seinem Haus zu beherbergen, würde sie ihm so schnell nicht verzeihen.
«Wusstest du, dass der duomo gedreht wurde?» Franco war außer sich vor Begeisterung. «Und die lateinische Inschrift oben im Dachfirst, weißt du, was –»
«Studiorum universitati fastigium. Ist mir bekannt», fuhr ihm Roberto dazwischen. «Ist ein alter Hut.»
«Signor Rossi und ich hatten vor einem halben Jahr darüber schon einmal ein angeregtes Gespräch», sagte Gruber und schmunzelte. «Ich glaube, bei der Gelegenheit haben wir uns überhaupt erst kennengelernt.»
«Der beschissenste Tag in meinem ganzen Leben», brummte Roberto leise.
«Was?», fragte Franco.
«Ich muss weiter», sagte Roberto und wollte an den dreien vorbei, aber Franco hielt ihn fest.
«Warte, ich komme mit, ich verabschiede mich nur.»
«Nichts da, Franco. Ich brauche Bewegungsfreiheit. Bleib du bei ihm.» Roberto deutete auf
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