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Der Poliziotto tappt im Dunkeln (German Edition)

Der Poliziotto tappt im Dunkeln (German Edition)

Titel: Der Poliziotto tappt im Dunkeln (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uli T. Swidler
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wühlte sein Handy hervor. Was Sergio und Peter Gabriel betraf: Das war kein Zufall, sondern Fügung. Wobei er keinen Schimmer hatte, wer da fügte. Wirklich gläubig war er nicht, allerdings auch kein Atheist. Ganz sicher gab es Gott. Oder einen Gott. Obwohl, vielleicht nicht einen Gott, aber das Göttliche. Wahrscheinlich. Cazzo .

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    30.
    Pretoro Galdroni stand oben an der Bergstation Gefrorene Wand, 3250 Meter über dem Meeresspiegel. Vor einer halben Stunde war er mit der Gondel angekommen, und seitdem wurzelte er hier. Die Kälte war längst in seine Skischuhe gedrungen und die Beine hinaufgeklettert. Auf dem Kopf und am Hals fror er schon länger, eigentlich schon seit er in die Gondel gestiegen war. Gefrorene Wand. Der Name passte. Minus 19 Grad, sagte das Thermometer. Gefrorene Windige Wand wäre noch besser. Die Böen drückten und zerrten an ihm wie Schwerverbrecher, die sich der Verhaftung widersetzten. Niemand hielt sich hier oben auf, er war der Einzige. Alle Skifahrer, die die Gondeln in kleinen Wellen ausspuckten, warfen höchstens ein paar flüchtige Blicke auf das Bergpanorama, bevor sie zusahen, so schnell wie möglich in angenehmere Regionen abzufahren. Genau das würde Galdroni sehr gerne ebenfalls tun. Aber er konnte nicht. Seine Knie schlotterten vor Angst, sobald er einen Blick auf die gut gewalzte, verteufelt steile Piste warf. Wieso hatte er mit dem Skifahren nicht erst einmal unten angefangen? Ein bisschen rutschen, ein Gefühl für die Skier bekommen, am besten in der warmen Sonne auf einem der Babyhügel in der Nähe der Talstation? Wahrscheinlich deshalb: Kann ein Hüne und Kraftbolzen wie er auf einem Babyhügel rauf- und runterrutschen?
    Nein. Also hatte er das Gegenteil gemacht und die Gondel genommen, hinauf auf den Gletscher. In der Gewissheit, es irgendwie zu schaffen und einigermaßen problemlos wieder herunterzukommen. Möglicherweise auch mit dem Gedanken: Wenn Ornella das hinkriegt, dann kann’s ja nicht so schwer sein. Vielleicht hatte er aber auch gar nichts gedacht. Egal.
    Nicht egal. Er war ins Grübeln gekommen, gestern, als er den Streit von Ornella und dem Yeti miterlebt hatte. Mehrfach hatte er sich die Aufzeichnung angesehen und dabei auf das Gesicht seiner Frau gezoomt, und trotz seiner brennenden Eifersucht hatte es ihn berührt. Nicht ihre Wut, sondern ihr Schmerz, ihre Verzweiflung, ihre Sehnsucht, die er darin las.
    Und nun stand er hier, und warum? Galdroni war keiner, der sein Verhalten allzu sehr hinterfragte, er war einer, der handelte. So war er hier heraufgekommen. Eine Kamikazeaktion, für die er keine Begründung abgeben könnte, er, der Skifahren nur aus dem Fernsehen kannte und bisher noch nie das Bedürfnis empfunden hatte, es zu erlernen.
    Um hinunterzukommen, gab es zwei Möglichkeiten. Option eins: Zurück in die Gondel klettern und talwärts schweben, was eine mehr als peinliche Kapitulation wäre. Option zwei: Sich in den Arsch treten und endlich losfahren, porca troia !
    Er beugte sich vor, platzierte die Stöcke neben seinen Skispitzen und stieß sich ab. Nicht zu heftig, so wie die Piste aussah, würde er noch genug Fahrt aufnehmen. Er spreizte die Skier, Schneepflug, und kurvte los. Nicht schlecht. Die Skier waren kurz und ließen sich leicht drehen. Ja, das hatte was. Er entspannte sich und lächelte. Na bitte. So steil war die Piste gar nicht.
    Als er wieder wach wurde, lag er in einem weißen Zimmer mit weißen Möbeln und einem weißen Gips um sein rechtes Bein, das zudem noch an einer Angel aufgehängt war, die wie ein kleiner Kran über das Fußende seines Bettes ragte. Neben dem Bett saß eine Frau, die seine Hand hielt. Sie kam ihm bekannt vor, und als sie aufschluchzte und die Tränen von ihren Wangen wischte, erkannte er sie: Es war Ornella. Und die beiden Mädchen, die mit dem Schalter der Leselampe spielten und sich dabei furchtbar stritten, waren seine Töchter Lea und Alessia.
    «Bitte, komm zu mir zurück», hörte er sich murmeln. Irgendetwas war anders in seinem Mund, und als er mit der Zunge seine Lippen und Zähne abtastete, konnte er es sogar beziffern: Vier Zähne fehlten, drei oben, einer unten.
    Ornella kam ganz nah an ihn heran. «Hast du gerade ‹bitte› gesagt?», fragte sie.
    Galdroni nickte und wunderte sich, dass er gar kein Bedürfnis hatte, etwas zu sagen wie: Bist du taub? Oder: Hörst du denn nie zu? Nein, er war nervös wie ein kleiner Junge und griff vorsichtig nach Ornellas Hand.

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