Der Poliziotto tappt im Dunkeln (German Edition)
Gruber.
«Das geht leider nicht», sagte dieser. «Ich habe heute Nachmittag eine Verabredung mit dem Leiter des Museo Archeologico Nazionale in Ancona.»
«Worum geht’s jetzt? Wurde der Palazzo Ducale etwa auch gedreht?», fragte Roberto mit deutlichem Sarkasmus.
«Wenn, dann um 360 Grad», lächelte Gruber. «Nein, es geht um den Sockel unter der Statue rechts neben dem Altar des linken Querschiffs, die den jungen Raffael zeigt und die der Bildhauer Carlo Finelli 1847 geschaffen hat, aufgestellt 1848. Dort findet man erstaunlicherweise die Symbole der Freimaurer eingemeißelt. Und das, obwohl zu der Zeit noch die päpstliche Bannbulle gegen die Freimaurerloge galt.»
«Wahrscheinlich weil wir Italiener die Dinge nicht so wichtig nehmen wie ihr Deutschen.»
«Die italienischen Päpste sind eigentlich nie durch besondere Liberalität aufgefallen. Vor allem nicht Pius IX., der zu der Zeit im Vatikan herrschte. Immerhin hat er das Dogma der Unbefleckten Empfängnis erlassen und wenig später das der Unfehlbarkeit des Papstes. Und er ist aufs schärfste gegen Pantheismus und Glaubensfreiheit vorgegangen. 1874 hat er sogar mit der päpstlichen Bulle ‹non expedit› jedem katholischen Italiener unter Androhung ewiger Verdammnis untersagt, an demokratischen Wahlen teilzunehmen.»
«1848 wurde die Französische Revolution losgetreten», meldete sich Franco schüchtern zu Wort. «Das hat auch die Urbinati keck gemacht, die wollten sich nicht mehr vom Klerus gängeln lassen.»
Gruber nickte. «Das wäre eine mögliche Erklärung. 1848 ist Papst Pius sogar aus Angst vor den Radikaldemokraten um Giuseppe Mazzini zusammen mit seinen Kardinälen nach Gaeta ins Königreich Neapel-Sizilien geflohen und erst nach zwei Jahren wieder in den Vatikan zurückgekehrt.»
«Die Straße, an der unser Schuhladen liegt, heißt Via Giuseppe Mazzini», warf Donna Domenica ein.
«War nicht Mazzini auch ein Freimaurer?», fragte Franco.
«War er», bestätigte Gruber. «Und Curzio Corboli, der die Raffaello-Statue gestiftet hat, womöglich auch.»
«Dann haben Sie ja alle Antworten, die Sie suchen», sagte Roberto. «Wieso noch nach Ancona fahren?»
«Außerdem habe ich Franco versprochen, ein paar Nachforschungen über seinen Großvater anzustellen.» Gruber lächelte Roberto an.
Na toll, der Kerl okkupierte nicht nur sein Dorf, nein, er schleimte sich auch noch an seine Freunde und Bekannten heran. Roberto warf Franco einen grimmigen Blick zu: Wie kam dieser verwirrte Musiker dazu, einem wildfremden Menschen Einblicke in seine traumatischste Familienangelegenheit zu geben?
Franco schlug beschämt die Augen nieder. «Wir haben über den Mordfall gesprochen, weißt du?»
«Davon habe ich nichts mitbekommen», sagte Donna Domenica spitz.
Gruber winkte ab. «Franco und ich hatten ein Gespräch, als Sie schon schliefen, Donna Domenica. Etwas Persönliches.»
«Ach ja?», erwiderte sie pikiert.
Für einen Moment überlegte Roberto, ihr die Sache mit ihrem als Golem verkleideten Ehemann zu erzählen, unterließ es jedoch. Besser würde es sein, erst mal mit Carlo Manzoni ein ernstes Wort zu reden. Vielleicht ergab sich ja eine Perspektive, wie die beiden wieder zusammenfinden konnten. « Veramente , Franco, es geht nicht.»
Franco sackte in Zeitlupe in sich zusammen.
«Außerdem, die Sache mit dem Golem hat sich geklärt. Da steckt ein Kerl dahinter, der etwas von Ruggero Grilli und diesem Kellner aus der Toskana, der heute Nacht ermordetet wurde, erpressen wollte. Der hat sich als Golem verkleidet, um uns in die Irre zu führen.»
«Ein Mord? Heute Nacht?» Franco griff unwillkürlich nach Robertos Daunenjacke.
Porca madosca , Roberto könnte sich ohrfeigen, warum hatte er nicht die Klappe gehalten?
«Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen dem Kellner und Ruggero Grilli?», fragte Gruber.
Roberto überhörte die Frage und ging einfach los. «Einen schönen Tag noch.»
Er bog auf die Piazza Pascoli ab, das war’s dann ja wohl mit seiner heiß ersehnten kleinen, winzig kleinen Pause unten in der Zisterne. Franco ging keine fünfzig Zentimeter hinter ihm, das konnte er nicht nur hören, sondern auch spüren. Francos Körperwärme war wirklich spektakulär.
Roberto blieb stehen, sodass der Musiker auf ihn prallte. «Du kannst bei mir bleiben, d’accordo . Aber ab diesem Moment, Franco, schweigst du. Und schweigen heißt: kein Wort. Ci siamo intesi? »
Franco holte Luft, um zu antworten.
«Kein. Wort.»
Schicksalsergeben
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