Der Polizistenmörder
die Polizei uns keine Informationen gibt, müssen wir uns die Fakten selbst beschaffen. Warum legt ihr nicht die Karten auf den Tisch?«
»Es gibt keine Karten auf den Tisch zu legen. Wir suchen nach Sigbrit Märd. Wenn ihr uns dabei helfen wollt, wären wir euch zu Dank verpflichtet.«
»Kann man davon ausgehen, daß sie Opfer eines Sexualverbrechens geworden ist?«
»Nein. Man kann nichts voraussetzen, solange wir nicht wissen, wo sie sich aufhält.«
»Ich würde gern die Zusammenfassung der Lage durch die Polizei hören. Kann ich das?«
Kollberg antwortete nicht. Er blickte die Fragestellerin an, ein Mädchen von Mitte Zwanzig mit hellblonden Haaren.
»Na?«
Weder Martin Beck noch Kollberg antworteten gleich. Nöjd blickte sich zu ihnen um und begann dann:
»Was wir wissen, ist sehr einfach. Frau Märd verließ am 17. Oktober um die Mittagszeit das Postamt in Anderslöv. Seitdem hat niemand sie mehr gesehen. Ein Zeuge glaubt, sie an der Bushaltestelle oder auf dem Weg dorthin beobachtet zu haben. Das ist alles.«
Der Reporter, der Boman in Domme bedroht hatte, räusperte sich und fragte: »Beck?«
»Ja, Redakteur Mohlin?«
»Jetzt ist aber Schluß mit dem Quatsch.«
»Welchem Quatsch?«
»Diese Pressekonferenz ist ja die reinste Parodie. Du bist Chef der Reichsmordkommission und statt vernünftige Antworten zu geben, schiebst du deinen Mitarbeiter und den Leiter der örtlichen Polizei vor. Wirst du Folke Bengtsson festnehmen lassen oder nicht?«
»Wir haben mit ihm gesprochen, das ist alles.«
»Und was ist bei dem Gespräch herausgekommen? Ihr habt ja beinahe zwei Stunden da drin gesessen und gequasselt.«
»Im Augenblick liegt kein Verdacht vor.«
Martin Beck log und ärgerte sich deswegen. Aber was sollte er sagen? Die nächste Frage fand er noch schlimmer.
»Wie fühlt man sich als Polizist in einer Gesellschaft, in der in weniger als zehn Jahren derselbe Verbrecher zweimal wegen des gleichen schlimmen Verbrechens festgenommen werden muß?«
Ja, wie fühlt man sich? Martin Beck fiel es schwer genug, sein Verhältnis zur Gesellschaft zu analysieren, auch ohne daß die Presse danach fragte.
Seine einzige Antwort war ein Kopfschütteln.
Kollberg erledigte die folgenden Fragen, die uninteressant und an den Haaren herbeigezogen waren, mit ebensolchen Antworten.
Die Pressekonferenz begann langweilig zu werden, das merkten alle, ausgenommen vielleicht Herrgott Nöjd, der plötzlich das Wort ergriff’ »Wenn nun schon so viele Repräsentanten der großen Zeitungen, vom Rundfunk und was weiß ich woher hier anwesend sind, dann könnt ihr wohl die Gelegenheit benutzen und ein wenig über Anderslöv berichten.«
»Soll das ein Witz sein?«
»Absolut nicht. Alle sagen, daß es so trübselig im Land aussieht, und wenn man den Massenmedien glaubt, wagt man ja kaum, die Schnauze in die Großstädte zu stecken, ohne daß man sich gleich eins einfängt. Hier haben wir es friedlich und schön.
Es gibt nicht mal Arbeitslose oder Rauschgiftsüchtige. Außerdem läßt es sich hier angenehm leben. Die Leute sind im allgemeinen freundlich, und die Umgebung ist schön. Fahrt rum und guckt euch zum Beispiel die Kirchen an.«
»Moment mal«, unterbrach ihn Mohlin. »Unsere Zeitung hat Kulturredakteure, die sich um Kirchen und so was kümmern. Aber ich fand die Frage gut, die hier jemand gestellt hat. Wie fühlt man sich, wenn man gezwungen ist, denselben Lustmörder innerhalb von zehn Jahren zweimal zu jagen? Was könnt ihr darauf antworten?«
»Kein Kommentar«, sagte Martin Beck.
Und damit war die Pressekonferenz im Gemeindehaus von Anderslöv beendet.
Bertil Märds Name war überhaupt nicht erwähnt worden. Der einzige, der kein Wort gesagt hatte, war Ake Boman.
Wenn die Zeitungsartikel am Montag und Dienstag eine gewisse Unruhe hervorgerufen hatten, so war das, verglichen mit dem, was am Mittwoch auf die Ortschaft herabstürzte, wie eine schwache Brise und ein Zyklon.
Die Telefone klingelten pausenlos sowohl oben bei Herrgott Nöjd als auch unten im Büro, und in Trelleborg war es beinahe noch schlimmer. Sigbrit Märd war in Abisko und Skanör, auf Mallorca, Rhodos und den Kanarischen Inseln gesehen worden, und eine Stimme am Telefon versicherte darüber hinaus, daß sie am Abend vorher einen Striptease vorgeführt hatte, und zwar in einem Sex-Club in Oslo, als ob es dafür keinen besseren Platz auf der Welt gäbe.
Es wurde berichtet, daß sie mit der Autofähre von Ystad nach Polen und mit der
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