Der Polizistenmörder
Bruchteil einer Sekunde, bis sein Gehirn registrierte, daß es die Hand eines Menschen war.
Da begann er zu schreien.
Am Montag, dem 12. November, war alles anders geworden, Sigbrit Märd war nicht länger verschwunden. Sie war eine wenig schön aussehende Leiche in einem Schlammloch im Wald. Und man hatte sie nicht allzuweit von der Stelle gefunden, wo viele sie vermutet hatten. Sie war jenseits von Gut und Böse, und dieser Zustand dauerte nun schon beinahe vier Wochen an.
Folke Bengtsson wurde an diesem Vormittag in Untersuchungshaft genommen. Er hatte kein Geständnis abgelegt, aber sein eigenes Verhalten und die unklaren Zeugenaussagen waren Anlaß genug, und als sein Verteidiger Einspruch erhob, war es eher eine formale Geste als der ernsthafte Versuch, ihn freizubekommen.
Immerhin war es ein recht guter Verteidiger, wenn auch durch viele Berufsjahre gezeichnet. In Schweden erhalten Strafverteidiger nur im Ausnahmefall eine ehrliche Chance. Es hat sich leider eingebürgert, daß Richter, um Zeit zu sparen, bereits das Urteil schriftlich niederlegen, während die Verteidigung noch plädiert. Darum haben viele Verteidiger resigniert, und die Erinnerung an berühmte Vorgänger, wie zum Beispiel Glarence Darrow, ist beinahe vergessen.
Martin Beck und der Verteidiger hatten sich sogar getroffen und kurz miteinander gesprochen. Die Unterhaltung hatte nichts eingebracht, aber der Anwalt hatte eine Bemerkung gemacht, der Martin Beck von ganzem Herzen zustimmte. Sie lautete: »Ich verstehe ihn nicht.«
Es war wirklich nicht leicht, Folke Bengtsson zu verstehen. Martin Beck hatte am Freitag mit ihm gesprochen, drei Stunden am Vormittag und ebenso lange nach dem Mittagessen. Es war ein nutzloser Wortwechsel gewesen, bei dem beide Partner stundenlang die gleichen Redewendungen zu wiederholen schienen, die sie nur Minuten vorher gebraucht hatten.
Am Sonnabend war Kollberg an der Reihe gewesen. Er war mit noch weniger Enthusiasmus ans Werk gegangen als Martin Beck, und das Ergebnis war entsprechend.
Nichts war dabei herausgekommen.
Das Verhör hatte sich fast ausschließlich um die gleichen Vorkommnisse gedreht. Zum allergrößten Teil um die Frage, was auf der Post geschehen war.
»Ihr habt auf dem Postamt miteinander gesprochen, nicht wahr?«
»Ja, sie hat sich mir an den Hals geworfen.«
»An den Hals geworfen?«
»Sie kam zu mir und fragte, ob ich Freitag ein paar Eier für sie hätte.«
»Kann man das wirklich ›an den Hals werfen‹ nennen?«
»Wie soll man es sonst nennen7«
»Hat sie nichts anderes gefragt?«
»Daran kann ich mich nicht erinnern.«
»Wollte sie nicht mit nach Hause genommen werden?«
»Daran kann ich mich nicht erinnern.«
Und dann war da natürlich die zweifelhafte Situation an der Bushaltestelle.
»Hat Sigbrit Märd ein Zeichen gegeben? Winkte sie oder so?«
»Daran kann ich mich nicht erinnern.«
»Und sie ist nicht ins Auto gestiegen?«
»Nein. Wirklich nicht.«
Martin Beck selbst neigte zu der Meinung, daß Herrgott Nöjd recht hatte. Wahrscheinlich hatte sie gefragt, ob sie mitfahren könnte, und er hatte ausweichend geantwortet. Es war auch durchaus möglich, daß sie tatsächlich irgendwelche Zeichen gemacht hatte, als er wenige Minuten später an der Haltestelle vorbeifuhr. Nachteilig war, daß mit den Zeugen nichts anzufangen war.
Nöjd hatte inzwischen alle verhört, die zum betreffenden Zeitpunkt in der Post gewesen waren. Vier Personen konnten bezeugen, daß Sigbrit Märd und Folke Bengtsson miteinander gesprochen hatten, aber keiner hatte gehört worüber.
Aber das konnte Folke Bengtsson nicht wissen.
Ebenso verhielt es sich mit der den Behörden bekannten Signe Persson und dem, was sie gesehen oder nicht gesehen hatte, als ihr das Lastauto auf der Straße begegnete.
Nur eines war vollkommen sicher. Sigbrit Märd war tot, und derjenige, der sie umgebracht hatte, hatte große Mühe darauf verwandt, den toten Körper verschwinden zu lassen.
»Hier hätte sie den ganzen Winter über liegenbleiben können, ohne daß jemand sie gefunden hätte«, sagte Nöjd. »Wenn nicht diese komischen Wanderer vorbeigekommen wären.«
Sie standen am Tatort - sofern dies der Tatort war - und beobachteten die Polizisten, die innerhalb eines abgesperrten Platzes Spuren zu sichern versuchten.
Eine ganz andere Sache war, daß Folke Bengtssons Grundstück ohne Erfolg umgegraben worden war, was sich höchstens für das Wachstum im nächsten Frühjahr nützlich erweisen konnte.
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