Der Portwein-Erbe
Mann wie du, jung, gut aussehend, intelligent, was soll der hier
allein an diesem Fluss, unter Bauern? Willst du allein leben, so wie Frederico jahrelang? Glaubst du, eine vernünftige Frau
lässt sich aufs Landleben ein?«
»Was ist mit dir? Du hast dich auch für Friedrich entschieden und lebst hier.«
»Das ist was anderes. Ich war oft in Lissabon bei meiner Familie. Außerdem habe ich Frederico geliebt. Wir kannten uns lange
vorher, und nur ich weiß, was es mich gekostet hat, es hier auszuhalten.« Sie legte die Hände auf den Tisch und spreizte die
Finger, ballte sie zur Faust, und Nicolas fragte sich, ob sie nach etwas griff oder etwas zerdrücken wollte. »Ich habe es
ausschließlich ... seinetwegen getan.« Sie stand auf, stellte sich hinter ihren Stuhl, fasste sich ins gelöste Haar und drehte
es zu einem Zopf. Sie sah heute erholt aus, besser als zuvor, beim Sprechen hingegen wirkte sie bitter.
»Du brauchst Jahre, bis sie dich akzeptieren. Frederico hat’s mir erzählt, wir hatten keine Geheimnisse voreinander. Er hat
sich anfänglich schrecklich einsam gefühlt, besonders nach der Enttäuschung mit der revolutionären Bewegung und wegen seinen
abstrusen Ideen von Gerechtigkeit. Er hat ewig gebraucht, um auf dem Boden der Tatsachen anzukommen. Eigentlich war es eine
Bruchlandung. Vergiss nicht, dass er von Anfang an einen Freund hatte, jemanden von hier, der es ihm leicht gemacht hat, auch
wenn es durchaus bessere gibt als ihn, als Otelo, meine ich. Du stehst im Gegensatz zu ihm allein da.«
»Dafür gibt es heute die funktionierende Quinta.«
»Wer hat dir das gesagt? Lass dir nichts einreden. Und wenn es so ist, dann höre auf, Sand ins Getriebe zu streuen. Du hast
in Frankfurt viel bessere Möglichkeiten; außerdem gibst du ein Vermögen aus der Hand, Macht, Einfluss, |265| Beziehungen ... wie Frederico. Habt ihr denselben Spleen?«
Sie redete wie Sylvia, er musste sich beherrschen, um nicht aus der Haut zu fahren.
»All das interessiert mich wenig, Dona Madalena. Ich habe mir vorgenommen zu bleiben.« Verärgert stand Nicolas auf. »Vielen
Dank für den Kaffee und die guten Ratschläge.«
»Jeder ist in seinen Entscheidungen allein, mein Lieber. Ich hoffe, du bereust es nicht ... Aber wenn ich dir helfen kann,
dann gern ... und wenn du gehst, ich jedenfalls habe volles Verständnis dafür. Ich gehe auch.«
Helfen könntest du mir, dachte Nicolas beim Weggehen, aber nicht mit überflüssigen Ratschlägen, mit denen du dich selbst über
Wasser hältst.
Am Beginn des Pfades durch den Weinberg tauchte Perúss wie gerufen auf, und Nicolas hörte Dona Madalena nach ihrer Haushälterin
rufen. Danach folgte eine wütende Tirade, von der er nur zwei Worte verstand: cão und merda, Hund und Scheiße. So ordinär
hatte er sie noch nie reden gehört. Wütend lief er den Weg zurück zu seinem Haus.
Er sah im Geiste das Bürogebäude, in dem sein Vater residierte, sah sich mit ausdruckslosem Gesicht im Fahrstuhl hinauffahren,
mit Menschen, die sich nicht kannten und sich nie kennenlernen würden, die sich auch nach zehn Jahren auf derselben Etage
nicht das Geringste zu sagen hatten. Er sollte auf Computerbildschirme blicken, von morgens bis abends, zwischendurch Baudezernenten,
Bankiers, Subunternehmer, Landtagsabgeordnete und Bittsteller empfangen, von denen nicht einer sagte, was er dachte. Abends
allein im Fahrstuhl in die Tiefgarage, weil alle längst zu Hause waren, rein in den Wagen und zu irgendeiner Villa im Taunus
fahren – und sich beim Golf zu Tode langweilen, während Sylvia überlegte, in welchem Restaurant man essen ginge, und die Reinemachefrau
zusammenschiss. |266| Wieso die Hölle bereits auf Erden erleben, wenn man dazu nach dem Tode genügend Zeit hatte?
Perúss stöberte ein Rebhuhn auf. Nicolas lächelte. Friedrich und er hatten mehr miteinander gemein, als er gedacht hatte.
Vor diesem Albtraum hatte er ihn bewahren wollen, vor diesem »Garten der Lüste«. Fand sich nicht unter den Schallplatten eine
Hülle mit diesem Motiv? Genau, ›Chasing Shadows‹ von Deep Purple. Hieronymus Bosch würde sich heute andere Motive einfallen
lassen – vielleicht Menschen, denen Mobiltelefone aus den Körperöffnungen herauskamen oder eingeführt wurden, Frauen und Männer,
die von PCs gefressen wurden, zur Hälfte unter der Motorhaube herausragten, von Joysticks aufgespießt oder in Flugzeugtriebwerke
gesogen wurden. Dazu folternde
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