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Der Portwein-Erbe

Titel: Der Portwein-Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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den Bauch, und dabei erinnerte er sich, dass Meyenbeeker doch eine Vermutung geäußert
     hatte. Sie betraf den Raub des Wagens. Der Journalist war der Ansicht, dass normale Gangster ihn mit einer Waffe bedroht oder
     ihn niedergeschlagen hätten, aber ihm niemals die Hände auf dem Rücken gefesselt hätten – und dazu noch so geschickt, wie
     Nicolas es beschrieben hatte. Menschen auf den Boden werfen und sie dort fixieren, das erinnerte ihn an den Stil der Polizei.
     Sie waren anschließend in die Bibliothek gegangen und hatten in den Mappen mit vergilbten Zeitungen Fotos aus den Siebzigern
     des letzten Jahrhunderts mit Aufnahmen von Demonstrationen gefunden. Die Technik war identisch; auf dem Bauch, das Gesicht
     am Boden, ein Knie im Rücken und die Hände gefesselt. Als Nicolas sich jetzt in aller Deutlichkeit an den Überfall erinnerte,
     stand er auf, ging unter die Dusche, wusch sich vorsichtig das Haar über der Badewanne und erneuerte die Wundauflagen an Schläfe
     und Jochbein.
    In barschem Ton forderte er Gonçalves später auf, ihn zum Bahnhof von Régua zu fahren. Der Verwalter gehorchte widerspruchslos.
     Er begriff, dass sich etwas geändert hatte, und die Angst saß ihm offenbar so tief in den Knochen, dass er Nicolas sogar die
     Reisetasche zum Wagen trug.
    »Wovor fürchten Sie sich, Mister Gonçalves? Davor, dass mir noch mehr zustößt? Oder fürchten Sie sich davor, dass man Ihnen
     dazu Fragen stellen könnte, zum Beispiel, weshalb Sie der Quinta do Andrade meine Weinberge verkaufen wollen?« Das war lediglich
     eine Vermutung. Gonçalves reagierte nicht. »Oder haben Sie Angst, dass man fragen könnte, wer die Abfindung für Antão Pacheca
     aufgebracht hat? Für mich ist der Ärger bald vorbei, aber für Sie fängt er gerade erst an.« Das hoffte er zumindest.
    Gonçalves erstarrte, er blickte geradeaus, die Arme bewegten das Lenkrad mechanisch, er bemühte sich, Nicolas nicht sehen
     zu lassen, wie sehr ihm das Gesagte zu schaffen |287| machte. Er öffnete den Mund, aber Nicolas schnitt ihm das Wort ab.
    »Ihre Meinung interessiert mich nicht, weder Erklärungen noch Entschuldigungen, gar nicht, verstehen Sie? Sie sind erledigt!«
    »Gute Reise, Senhor«, sagte der Verwalter kleinlaut, als Nicolas mit kleinem Gepäck am Bahnhof ausstieg. Er hatte nicht einmal
     zu fragen gewagt, wo Nicolas hinfuhr und wann er zurückkäme. Wahrscheinlich nach Porto, von Régua aus fuhr man immer nach
     Porto und selten flussaufwärts.
    »Bestellen Sie Dona Firmina, dass ich übermorgen zurück bin und zwei Gäste mitbringe. Sie möchte bitte für drei Personen ein
     schönes Abendessen vorbereiten. Wer die Gäste sind? Zwei Leibwächter . . .«
    Die Strecke am Douro entlang war eine der schönsten, die Nicolas kannte. Heute war ihm die Erinnerung an seine erste Reise
     gegenwärtig wie nie zuvor. Das Wetter war damals genauso herrlich gewesen. Allein dieser Landschaft wegen lohnte es sich,
     um die Quinta zu kämpfen, und er dachte an die Zukunft.
    Da noch Zeit blieb, stieg er in Porto nicht am Hauptbahnhof aus, sondern fuhr weiter bis zur Station São Bento – und war mitten
     im Großstadttrubel. Er blieb vor der Bahnhofshalle stehen, sah die Menschen vorbeihasten, die Autos sich in den Straßen stauen.
     Er roch den Gestank der Auspuffgase, hörte den Lärm der Motoren und Hupen, und er wollte weg, zurück an den Fluss, auf den
     Berg, zu seinem Haus. Das dritte Ufer kam ihm in den Sinn, doch wie konnte man an etwas denken, das man gar nicht kannte?
     Er dachte darüber nach, als der Schnellzug nach Lissabon wunderschöne Gärten mit Dattelpalmen passierte. Eine dieser Palmen,
     deren Wedel ihn, wenn der Mond darauf schien, an ein Feuerwerk erinnerten, so eine würde er auf der Quinta neben die von Friedrich
     setzen, um sich an |288| seinen Anfang zu erinnern. Der Zug fuhr am Meer entlang, wo der Nebel herkam, der die Ferienorte gnädig einhüllte, die eigentlich
     nichts anderes waren als Maschinen zum Geldmachen. Man sollte die Architekten, die sie entworfen hatten, dort wohnen lassen.
    Bei Aveiro dachte er an den flüssigen Käse von Dona Firmina, und schließlich traf die Bahn den Rio Tejo, dessen Ufer immer
     weiter auseinanderrückten. Nicolas sah die glänzende Wasserfläche, und er fragte sich, ob Lissabon ihn näher ans Ufer bringen
     würde, an sein Ufer, oder ob die Stadt ihn davon entfernen würde. Obwohl er nervös war und sich freute, Rita zu treffen, verfinsterte
     sich seine Stimmung,

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